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Theodor Lipps.
Anderseits ist von beiden verschieden das Bewußtsein der
Größe der Objekte selbst, und hier wiederum können wir einen
Unterschied machen. Nur von dem Bewußtsein ist hier die
Rede, das in einem Akte des Sehens unmittelbar eingeschlossen
ist, oder das bei diesem Akte mir unmittelbar sich aufdrängt.
Dem aber steht gegenüber das Bewußtsein, das auf anderem
Wege g-ewonnen ist und nicht so unmittelbar sich aufdrängt,
mein wissenschaftliches Wissen etwa von der Beschaffenheit der
Gegenstände oder Objekte. So weiß der Astronom, und weiß
auch wohl ich, daß der Mond viel weiter vom Auge entfernt
ist, als die Wolken; aber ich habe, indem ich den Mond sehe,
in diesem Sehen unmittelbar das Bewußtsein, daß der Mond
wenig weiter entfernt sei als die Wolken. Und dies Bewußt¬
sein kann modifiziert werden. Sehe ich etwa eine Wolke am
Mond vorbeihuschen, die zu dünn ist, als daß sie den Mond
trüben könnte, so gewinne ich das Bewußtsein, der Mond sei
zwischen der Wolke und meinem Auge, und da meine ich ihn
nun zu sehen. Ich habe den Eindruck, als ob ich die Ent¬
fernung des Mondes vom Auge nur so groß sehe, als dies der
Fall wäre, wenn der Mond in der Tat zwischen der Wolke und
meinem Auge sich befände. Und jenes Bewußtsein ist es, das
diesen Eindruck ergibt.
Und so ist es auch in unserem Falle. Das im Akte des
Sehens sich mir aufdrängende Bewußtsein, wie es um die Größe
des Objektes, das ich sehe, bestellt sei, wird zum Eindruck, als
ob ich diese Größe sehe. Dabei unterscheide man noch die
Größe des Objektes, von der ich ein Bewußtsein habe, und die
Größe, die ich sehe oder die in meinem Gesichtsbild vorkommt.
Beides ist ja nicht dasselbe. Ein Objekt wird von mir viel¬
leicht überhaupt nicht gesehen, es entzieht sich meiner Gesichts¬
wahrnehmung ganz und gar: es ist dann für mein Sehen gar
nicht da, und doch kann es da sein für mein Bewußtsein.
Und dies Bewußtsein ist auch in unserem Falle, bei dem
Sonnenbildchen, ein erfahrungsgemäßes. Die Erfahrung sagt
mir, daß ein Objekt, dessen Betrachtung eine bestimmte Kon¬
vergenzempfindung ergibt, in einer bestimmten Entfernung vom
Auge sich befinde. Und Erfahrung sagt mir auch, daß ein