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Theodor Lipps.
etwa gar die ewigen Himmelsfreuden zu gewinnen, sondern auch
die pflichtmäßigen Neigungen, die Neigung, das Rechte zu
tun, die Neigung, „die Menschheit in Dir und andern“ zu fördern,
den herzlichen Widerwillen gegen die Negation dieser „Mensch¬
heit in Dir und andern“.
All unser bewußtes und freies Handeln und nur von solchem
Handeln ist hier die Rede, entstammt in der Tat jederzeit und
notwendig unserer Neigung oder setzt sie voraus. Immer er¬
streben wir, was uns am meisten befriedigt. Ja, es ist am Ende
selbstverständlich, daß all unser Handeln aus unserer Neigung
stammt oder eine Neigung zum „Bestimmungsgrunde“ hat.
Denn das Streben, aus dem doch ohne Zweifel das bewußte
Handeln stammt, ist gar nichts anderes als die Neigung. Alles
unser Handeln entstammt der Neigung, dieses heißt gar nichts
anderes als alles unser bewußtes und freies Handeln entstamme
dem Streben. Und diesen Satz hat noch niemand bestritten.
Aber es fragt sich jedesmal, was denn das für eine Neigung
sei, aus der ein Handeln stamme, ob etwa die Neigung, über
einen anderen sich einen pekuniären Vorteil zu verschaffen, oder
die Neigung, das zu tun, was man für recht hält.
Geschieht aber, wie wir oben sahen, und wohl für jedermann
feststeht, jede Handlung, auch die sittlichste, aus Neigung, oder
ist Neigung überall in unserem Handeln der Bestimmungsgrund,
und ist dies gar selbstverständlich, dann ist auch kein Handeln
in unserem Sinne des Wortes gegenständlich bedingt. Ins¬
besondere kann auch dasjenige Handeln nicht so heißen, in dem
bewußt und frei das Rechte geschieht. Auch wer aus rein
pflichtgemäßer Neigung heraus handelt, also der Pflicht genügt,
oder das Gebot der Pflicht erfüllt, und dies nur tut, weil es nach
seinem besten Wissen die Pflicht erheischt, oder weil es so
recht ist, ist in seinem Handeln doch nicht gegenständlich be¬
dingt. Daß er es nicht im wahren Sinne des Wortes ist, dies
ist um so gewisser, je mehr er frei das tut, was ihm recht
scheint, je mehr er also sittlich handelt. Mit anderen Worten,
es ist nicht so, als ob die Eigenart meines Handelns in der
Natur der Gegenstände notwendig läge, oder mit meiner Auf¬
fassung der Gegenstände notwendig zugleich . gegeben wäre.