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Die sympathische Gemüthserregung.
mit den Armen um sich schlägt und wenn man mit Jemand spricht,
der seine Rede mit lebhaften Gestikulationen begleitet, so kostet es oft
Selbstbeherrschung, all die Bewegungen nicht nachzuahmen. Ja, wenn
man sich sehr aufmerksam in Bewegung und Stellung einer Statue ver¬
tieft, kann es einem passirèn, dass man sie unwillkürlich nachahmt.
Alles dies sind nur Kleinigkeiten. Eine wichtige Rolle spielt in¬
dessen die unwillkürliche Nachahmung bei Erziehung und Unterricht
der Kinder, jedenfalls auf den frühen Entwickelungsstufen, ehe man
ihnen durch gesprochene Worte Kenntnisse bei bringen oder Intentionen
bei ihnen erwecken kann. Man hat ja in der That kein anderes Mittel,
einem ganz kleinen Kinde die ersten Fertigkeiten beizubringen, als in¬
dem man seinen Nachahmungstrieb benutzt. Hühnerzüchter bringen
ihren in der Brütmaschine ausgekrochenen Küchelchen das Picken der
Nahrung bei, indem sie ihnen mit der Fingerspitze die Pickbewegungen
vormachen; und das kleine Kind lernt „wie gross es ist“, ganz ohne
zu verstehen, was das bedeutet, indem man die Arme hochhebt und
diese Bewegung von ihm nachahmen lässt. Das beste Beispiel hierfür
ist jedoch das Sprechenlernen. Man spricht dem Kinde die Laute vor,
die man ihm beibringen will, und kraft seines Nachahmungstriebes
wiederholt es dieselben, ohne dass dabei irgend ein bewusstes Streben
mitspielte. Später, wenn die Reflexion sich entwickelt hat, ist es dann
natürlich nicht so leicht, die Rolle der unwillkürlichen Nachahmung in
Unterricht und Erziehung nachzuweisen.
Dass die emotionellen Bewegungsphänomene ansteckend wirken,
darf uns also nicht so sehr verwundern, da diese Ansteckung, diese
Uebertragung, durchaus kein vereinzelt dastehendes Phänomen, sondern
im Gegentheil nur der spezielle Fall eines allgemeineren physio¬
logischen Gesetzes ist, nach welchem Bewegungen durch blosse Be¬
obachtung analoger Bewegungen bei Anderen hervorgerufen werden
können.
Nichts desto weniger ist die Sache höchst merkwürdig, oder doch
mit anderen Worten schwer mit unseren sonstigen nervenphysiologischen
Vorstellungen zusammenzureimen. Dass der Anblick eines Bewegungs¬
phänomens eine vasomotorische Innervation hervorrufen kann, ist an
sich nicht das Merkwürdige ; das gehört zu den bekannten Aeusserungen
der Reflexwirkung; jeder Sinneseindruck übt, wie wir gesehen haben,
gewisse Einflüsse auf den Contraktionsgrad unserer Blutgefässe aus ;
aber wie es zugeht, dass Gesichts- oder Gehöreindrücke gewisser Be¬
wegungsphänomene gerade solche Innervationszustände hervorruft, dass
ganz dieselben Erscheinungen beim Zuhörer oder Zuschauer auftreten,
das liegt, meines Erachtens, bis jetzt noch ganz ausserhalb unseres
Verständnisses, und muss als Thatsache schlechthin aufgefasst werden.