322 Erster Abschnitt. Uber das Wesen der Tiefenwahrnehmung.
wird Wohl bei der ästhetischen Auffassung der Sehdinge ein mitt¬
leres, zwischen jenen beiden Extremen gelegenes Verhalten be¬
obachtet. Organempfindungen und Assoziationen z. B. spielen
nach den Versuchen von Külpe und denen von Segal beim ästhe¬
tischen Verhalten sicher eine Rolle. Organempfindungen und
Assoziationen werden aber natürlich zurückgedrängt, wenn die
Aufmerksamkeit, wie es etwa beim Mikroskopieren der Fall ist,
nacheinander möglichst scharf den einzelnen Teilen des Wahr¬
nehmungskomplexes zugewandt wird1. — Und andererseits: Die
impressionistischen Sehweisen, d. h. die Sehweisen, welche zur
deutlichen Wahrnehmung des gefärbten Zwischenmediums führen^
sind gerade Verhaltungsweisen, welche eine Konzentration der
Aufmerksamkeit auf die Einzelheiten des Beobachtungsobjektes
nicht aufkommen lassen. Die Gesichtseindrücke werden zwar
beachtet, aber doch ohne Aufmerksamkeitskonzentration auf die
Sehdinge. Es wird also ein ähnliches Verhalten eingeschlagen
wie dann, wenn unser Bewufstsein noch durch anderes beschäf¬
tigt ist als durch die Apperzeption der Sinnesreize selbst, ein
Fall, der ja beim ästhetischen Verhalten wohl stets zutrifft. Die
älteren Maler hingegen geben die Dinge so wieder, wie sie sich
uns bei sukzessiver und scharfer Konzentration der Aufmerksam¬
keit auf die einzelnen Teile des Wahrnehmungskomplexes dar¬
stellen. —
Was den assoziativen Faktor betrifft, so scheinen es nach
der Untersuchung von Segal die dunkel-bewufsten Asso¬
ziationen zu sein, die in besonders enger Beziehung zum ästhe¬
tischen Eindruck stehen; es kommt der Fall vor, dafs das Ge¬
fallen in dem Augenblicke abnimmt, in welchem sich die Vp.
des Inhalts der anfänglich nur dunkel anklingenden Vorstellung
deutlich bewufst wird. Ferner ereignen sich Fälle, aus denen
Segal schliefsen zu müssen glaubt, „dafs das, was beim ästhe¬
tischen Verhalten reproduziert wird, nicht vereinzelte Vorstel¬
lungen sind, sondern dafs dabei mitschwingen die Konturen der
„ganzen Komplexe, welche sich aus unzählbaren und inhaltlich
„verschiedenartigen Erlebnissen gebildet hatten, und zwar einer¬
seits auf der Grundlage der Ähnlichkeiten (d. h. partieller
1 Anderseits freilich befindet man sich, wenn man auf die Organ-
empfindungen achtet, aufserhalb des ästhetischen Verhaltens, wie Lipps in
zutreffenderWeise hervorhebt (Grundlegung der Ästhetik î. Bd., S. 218,1903).