Sechstes Kapitel. Zur Phänomenologie des leeren Raumes usw. 303
ständen — im Sonnenlicht, in der Dämmerung in der Nacht
— wird wohl jeder die Angabe Herings, dafs ein raumhaftes
Medium von bestimmter Helligkeit zwischen den Dingen lagert,
bestätigen können. —
Vielleicht wird man gegen unsere Darlegungen Folgendes
einwenden. Tritt beim Vorhandensein zentraler Anästhesie
gegenüber Netzhau teindrücken die endogene Erregung hervor,
so müfste auch eine Buchseite, in der wir lesen, in den Mo¬
menten der Wanderung des Blickes wie Luft erscheinen. Ich
würde diesen Einwand nicht als stichhaltig ansehen. Holt hatte
bei seinen Versuchen mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dafs
das Auge eine aufserordentlich starke Neigung besitzt, während
der Verfolgung des bewegten Objektes anzuhalten, wobei dann
die Unempfindlichkeit aufhört. Uberstreichen wir mit dem Blick
eine Oberfläche, z. B. eine Buchseite, so sind auch hier fort¬
während Objekte da, welche unsere Aufmerksamkeit zu fesseln
suchen. In diesen Momenten des Anhaltens werden aber im
seitlichen Sehen alle diejenigen Punkte der Oberfläche bereits
erblickt, die erst mit dem Blick überstrichen werden sollen.
Durchwandere ich hingegen mit dem Blick den lediglich von
Luft erfüllten Zwischenraum zwischen zwei Objekten, so wird
die Aufmerksamkeit während der Bewegung durch nichts aufge¬
halten. Das gilt ebensowohl dann, wenn das eine der beiden
nur durch leeren Raum voneinander getrennten Objekte hinter
dem anderen, wie dann, wenn es seitlich von ihm liegt. Infolge¬
dessen breitet sich ein ganz gleichartiges Zwischenmedium nicht
nur zwischen einem Objektepaar der ersteren, sondern auch
zwischen einem Objektepaar der letzteren Art aus.
§ 9*
Auf die biologische Bedeutung der endogenen Erregung der
Sehsubstanz hat bereits G, E. Müller hingewiesen. „Angenom¬
men es wäre in denjenigen Teilen der zentralen Sehsubstanz,
1 Auf Grund sehr vielfacher Beobachtungen bin ich zu dem Eindruck
gelangt, dafs ich im allgemeinen dunkles Zwischenmedium deutlicher und
ausgeprägter sehe als helles. Das ist auch verständlich. Zur Empfindung
eines hellen Zwischenmediums kann nur ein Luftraum Anlafs geben, der
von hellen Objekten eingeschlossen ist. Helle Objekte aber erregen die
Aufmerksamkeit und führen deshalb leicht diejenige Verhaltungsweise
herbei, bei der das Zwischenmedium nicht deutlich gesehen wird.