Fünftes Kapitel. Die Aufmerksamkeitslokalisation.
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bei der die peripheren Netzhauteindrücke deutlich werden/ erst
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durch Übung erlernen mufs).
In künftig zur Beobachtung gelangenden Fällen dieser Art
dürfte vielleicht auch der Frage der Sehschärfe gröfsere Beachtung
zu schenken sein, als es bisher meist der Fall war; überhaupt
wäre es von hohem Interesse, wenn in künftigen Mitteilungen
über den Gegenstand auch den psychologischen Fragestellungen
und Gesichtspunkten in ausgiebiger Weise Rechnung getragen
würde, und wenn insbesondere nicht allein die einfache Beob¬
achtung, sondern auch das psychologische Experiment zur An¬
wendung gelangte. —
Von fast allen Autoren, die sich mit dem Gegenstand be¬
schäftigt haben, wird angegeben, dafs sich die Operierten ähnlich
verhalten wie Patienten mit hochgradig eingeengtem Gesichtsfeld,
da sie die peripheren Netzhauteindrücke im allgemeinen über¬
haupt nicht perzipieren, sondern nur dann, wenn die Aufmerk¬
samkeit ausdrücklich darauf hingelenkt wird. Wenn nun die
Patienten auch das Ferne nicht zu beachten scheinen, wohl aber
das Nahe, so würde eine Analogie bestehen zwischen ihrem Ver¬
halten gegenüber fernen Objekten einerseits und demjenigen gegen¬
über seitlichen anderseits. Wir werden bei der Behandlung der
Frage nach der Homogenität der drei Dimensionen des Sehraums
hierauf zurückkommen.
Ist die eigentümliche Lokalisationsweise seitens der operierten
Blindgeborenen den Erscheinungen von Aufmerksamkeitslokali¬
sation zuzurechnen, so wird auch die z. B. im HoMEschen Fall
zutage tretende Erscheinung verständlich, dafs die Sehdinge bei
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fortschreitender Übung im Sehen in gröfserer Entfernung als
anfangs, aber immer noch in abnorm kleiner Entfernung er¬
scheinen. Bei fortschreitender Übung im Sehen und bei zu¬
nehmender Orientierung im Raum wird eben die Aufmerksamkeit
nicht mehr ausschliefslich den dem Körper unmittelbar benach¬
barten, sondern allmählich auch den durch Lokomotion des
Körpers erreichbaren, also etwas ferneren Gegenständen zugewandt.
Richtet der Patient seine Aufmerksamkeit auf die fernsten Gegen¬
stände, die er ausdrücklich zu beachten gelernt hat, so kann er
seine Aufmerksamkeit nicht gleichzeitig demjenigen zu wenden,
was näher ist als jene Gegenstände. So verhält es sich ja beim
Normalen. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dafs sich
der Patient innerhalb des Bereiches, innerhalb dessen er bereits
Zeitschrift für Psychologie. Erg.-Bd. VI. 16