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umdüstert; das Lichte wird zum Sinnbilde des Frohen, Guten, Schönen und das Dunkle zum
Sinnbilde des Bösen, Schweren und Traurigen. Es giebt nichts so Sprödes, dem wir nicht etwas
leihen könnten von unserem menschlichen Wesen. So leihen wir dem ragenden Felsen Haupt
und Stirn und Nase und Fuss, oder wir lassen ihn ins Thal hinuntersehen, drohend sich empor¬
heben zum Himmel oder in Trotz aufragen. Wir lassen den Fluss mit leisen Tritten durch
die Ebene hinschleichen oder den munteren Bach in schäumender Lust sich überstürzen, den
Strom im Vollgefühle seiner Kraft majestätisch dahinziehen. Der vom Walde eingeschlossene
Teich, in welchem sich die Wolken des Himmels, das Licht der Sohne, die Schatten und Um¬
risse der Bäume spiegeln, hat uns etwas Heimliches, Trautes; und das hat nicht nur im
unmittelbaren Eindrücke der Abgeschlossenheit, der feierlichen Stille, der Waldeseinsamkeit, der
weichen Linien im Wasserspiegel seinen Grund und nicht nur darin, dass alles, was wir an
schönen Liedern — etwa von Eichendorff und Goethe — gelesen haben, in'uns wiederklingt ;
sondern wir deuten die Spiegelung sogleich um in ein Sichselbstbeschauen der Natur; wir leihen
ihr ein dämmerndes Selbstbewusstsein, das sich selbst geniesst; wir legen gleichsam, was
träumerisch und ahnungsreich in unserer Seele lebt, hinein in die ruhige Wasserfläche mit ihren
zarten Formen, mit dieser ineinander rinnenden und verschmelzenden Doppeltsetzüng der Er¬
scheinungen. Oder sehen wir gewaltige Gebirgsbildungen aufsteigen, so können wir nicht umhin,
uns hineinzudenken in jene treibende Kraft, welche diese Riesenblöcke hob und dann erstarrte,
und noch einmal durchzuempfinden jene Kämpfe, in denen sich aus tiefem Schosse diese
Formen emporrangen.
Das Rauschen des Wassers weckt „das Gefühl einer immer frischen Lebendigkeit28)
oder ladet ein, sich in das fremdartige und lockende Element zu versenken. Das Feuer mit
seinen flackernden Flammenzungen, mit dem beständigen Übergehen der Linien ineinander
spiegelt eine Unruhe des Verzehrens, einen leidenschaftlichem Affekt wieder. Das Halbdunkel
ist ahnungsvoll; nicht nur das Auge labt sich an der Dämmerung des Waldes, sondern die
Seele senkt sich in unerforschte Tiefen der Ahnungen und der verhüllten Gefühle, während das
Licht wie ein Bewusstsein der Natur von sich selber, wie ein Denken ihrer eigenen Formen
erscheint. Die Stimmung der Farben wird immer offener, heller und milder, je mehr dieselben
gegen das Weisse zunehmen, und gedrängter, energischer, je mehr sie sich dem Schwarzen
nähern; doch über einer gewissen Grenze wird die Verdünnung charakterlos matt, die Vertiefung
trüb und traurig.29) Die Luft erfreut durch das reine Lebensgefühl, das die lebendigen Wesen
in ihrem allverbreiteten, erhaltenden und labenden Elemente gemessen. Im zartbewegten Laube
flüstern die Winde, im Sturm ertönt ein Brüllen der Wut, ein Geheul der Verzweiflung. Der
sanfte Regen wirkt erfrischend, der anhaltehde niederschlagend; der Tau ist ein glänzendes Ge¬
schmeide, der Schnee ein Leichentuch, oder im Kontrast steigert er das Gemütliche des Zusammen-
28) Viseher, Aesthetik II i, S. 63: „Als Quelle hervorsprudelnd ruft das Wasser die ganze) geheimnisvolle und
dankbare Empfindung eines aus der Tiefe gespendeten, erfrischenden Segens hervor; als Bach, Fluss, Strom sich fort-
bewegend mahnt es bald durch die Eintönigkeit seines Berufes an das Unendliche der Zeit, bald zieht es das strebende
Gemüt in die Feme, bald wirkt es als majestätische und doch freundlich den Völkerverkehr vermittelnde oder über-
schwellend und verheerend als furchtbar zerstörende Kraft.“
29) Viseher a. a. O. S. 38 ff.