Volltext: Methoden der Psychologie des Gefühlslebens

Methoden der Psychologie des Gefühlslebens 
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Wir wollen uns nun mit der Behandlung der Frage be¬ 
schäftigen: Wras wirkt bei den Zwangsvorstellungen 
und Zwangsgedanken zwingend, fixierend? 
Die einen sagen: eine abnorme Intensität der betreffenden 
Vorstellungen und Gedanken, die anderen: die Affekte, insbesondere 
der Angstaffekt. 
Die ältere Psychiatrie hat die Intensität der Vorstel¬ 
lungen für die Zwangserscheinungen verantwortlich gemacht. 
Das ist auch verständlich. Die Vorstellungen sind psychische 
Größen, von denen man sich sagte, daß sie bestimmte physiologische 
Korrelate haben; mit diesen kann man rechnen. In pathologischen 
Fällen liegt häufig eine Steigerung der Erregbarkeit der Hirn¬ 
zentren vor. Da ist es begreiflich, daß man bei Erklärungen viel 
mit Steigerung der Intensität von Vorstellungen operierte. Und 
das um so mehr, als man mit den Gefühlszuständen bei der Er¬ 
klärung nichts rechtes anzufangen wußte, während man bezüglich 
der Vorstellungen mit den einfachen Beproduktionsgesetzen leicht 
operieren konnte. 
Bei den Angstaffekten, welche man bei Zwangsvorstellungen 
und Zwangshandlungen auftreten sieht, unterscheidet man primäre 
und sekundäre. Als primäre Angst bezeichnet man die Angst, 
welche etwa den betreffenden Vorstellungen oder Gedanken voran¬ 
geht. Als sekundäre Angst wird einmal diejenige Angst bezeichnet, 
welche sich im Kampf des Willens gegen die Belästigung durch den 
Zwang entwickelt. 
Man muß aber zwei Arten der sekundären Angst unter¬ 
scheiden: neben der bezeichneten diejenige Angst, welche sich 
an den betreffenden Zwangsgedanken unmittelbar anschließt. 
Die zuerst charakterisierte sekundäre Angst kann natürlich 
für die Entstehung der Zwangserscheinung nicht in Betracht ge¬ 
zogen werden, sie setzt ja schon die Zwangserscheinung voraus. 
Wir wollen nun die Frage zu beantworten suchen, ob bei 
dem Prozeß der zwangsmäßigen Fixierung der betreffenden Vor¬ 
stellungen oder Gedanken Angst als Ursache oder Mitursache an¬ 
zusprechen ist. Die Beantwortung dieser Frage schließe ich an 
die Darstellung von sehr eingehend beschriebenen Fällen an. 
Zunächst wollen wir hier einen Fall von Binswanger geben1). 
,,Patientin, 65 Jahre alt, hat sich als Kind ganz normal ent¬ 
wickelt und war ein gesundes, junges, fröhliches Mädchen. Aber 
schon bald nach ihrer Verheiratung (in ihrem 21. Lebensjahre) 
wurde sie von ihrem Manne mit ihrer übertriebenen Schreck¬ 
haftigkeit geneckt. Sie war, trotzdem sie ihren Mann in seiner 
geschäftlichen Tätigkeit in vorzüglicher Weise unterstützte, die 
x) Binswanger: Pathologie und Therapie der Neurasthenie. Jena 1896.
	        
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