Methoden der Psychologie des Gefühlslebens
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eine geistige Färbung, welche anf das Konto jener Gespräche mit
dem Frennde kommt.
Ein besonderer komplexer Fall der Übertragung von Gefühls-
znständen liegt da vor, wo ich von Summationszentren
von Gefühlsznständen spreche. Um gewisse Wahr¬
nehmungen, Vorstellungen, Gedanken, Urteilsprozesse können
sich Gefühlszustände durch Übertragung gruppieren, die aus ver¬
schiedenen Perioden des Lebens stammen. So ist es bei Vorstellung
oder Wahrnehmung des Vaters, der Mutter, der Lebensgefährtin,
des Freundes, bei einem religiösen Menschen beim Gedanken an
Gott; so ist es bei einem sittlich höher entwickelten Menschen bei
dem in konkreter Situation gefällten Urteil, ,,das ist für mich hier
sittlich geboten”, ,,das ist für mich hier sittlich verboten”.
Solche intellektuelle Zentren können gewaltige Gefühlsmassen
auslösen, wobei über die Genesis der einzelnen in diese Gefühls¬
masse eingegangenen Gefühlszustände im allgemeinen nichts mehr
festzustellen ist.
An solchen Gefühlsmassen, welche durch Summationszentren
von Gefühlszuständen ausgelöst werden, ist zu beachten das ,,ver-
schiedene Alter” der Gefühlsdispositionen.
Wie man auf intellektuellem Gebiet auf Grund experimenteller
Befunde von verschiedenem,, Alter” der Disposition zu Vorstellungs¬
reproduktionen spricht1), wobei man betont, daß die älteren Dis¬
positionen fester haften, so kann hier auf emotionellem Gebiet in
gleichem Sinne von einem verschiedenen Alter von Gefühls¬
dispositionen gesprochen werden.
Hier kommt hinzu, daß die älteren Gefühlsdis¬
positionen an Festigkeit und Wirkungskräf¬
tigkeit dadurch im allgemeinen stark ge¬
wonnen haben, daß sie in verschiedenenZeit-
punkten immer wieder neu angeregt sind.
Von diesen Gefühlszuständen gilt sodann, da sie aus ver¬
schiedenen Perioden des Lebens des Individuums stammen, daß
sie einen relativ großen Reichtum emotioneller
Komponenten darbieten, welche zu verschiedenen
Erlebnisperioden des Individuums gehören. Man
hat hier von verschiedenen ,,Schichten” des Bewußt¬
seins gesprochen.
Sodann ist hier ganz besonders hervorzuheben, daß diese
Gefühlszustände im allgemeinen eine nahe
Beziehung zu objektiven Werten haben und
damit zu den Grundsätzen des Individuums
in naher Beziehung stehen.
x) Störring : Psychologie. S. 151.
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