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Gr. Störring
hängigen Urteile den Charakter der Un¬
korrigierbarbeit tragen. Auch wenn man den Kranken
das nicht berücksichtigte Material znr Benrteilnng herbeibringt,
tritt keine Korrektur des Urteils ein. Jener Reisende, der das
Rundschreiben des Chefs der Spesen wegen auf sich bezog, ließ
sich davon nicht abbringen, obgleich ihm sein Chef das nötige
Material für andere Deutung dieses Tatbestandes darbot. Er
blieb bei seiner mißtrauischen Deutung. Mit der mißtrauischen
Deutung des Tatbestandes verbindet sich also ein abnorm ge¬
steigertes Bewußtsein der realen Gültigkeit des so Gedachten.
Wovon ist dies Phänomen abhängig ? Es läßt sich bei seiner
abnormen Intensität nur die abnorme Intensität des emotionellen
Faktors dafür verantwortlich machen.
Die YorstellungsVerbindung, welche die von den Kranken
gewählte Deutung darstellt, verbindet sich mit einem Gefühls -
zustand gleichen Charakters, wie ihn die Verstimmung an sich trägt.
Infolgedessen muß, sobald diese Vor¬
stellungsverbindung einmal gegeben ist,
durch die Vorstellung des zu deutenden Tat¬
bestandes bei der vorhandenen Stimmungs¬
lage sich dem Bewußtsein des betreffenden
Individuums diese Deutung im Gegensatz
zu den anderen aufdrängen. Von diesem ab¬
normen Sichaufdrängen der einen Deutung
im Gegensatz zu anderen muß das abnorm
starke Bewußtsein der realen Gültigkeit
des in dieser Vorstellungsverbindung Ge¬
dachten abhäng en.
Kach der Entwicklung meiner Theorie der Genesis para¬
noischer Wahnideen will ich vor der kritischen Behandlung einer
kürzlich aufgestellten Paranoiatheorie mit einigen Worten noch
auf eine Auffassung der Genesis solcher Wahnideen eingehen,
die von Wernicke geäußert ist. Diese Hypothese soll zugleich das
tiefere Verständnis für das Wesen aller Geisteskrankheiten geben.
Er knüpft seine Auseinandersetzung an die Besprechung eines
Kranken an, der abstruse Wahnideen bei erhaltener Besonnen¬
heit entwickelt.
Er sagt, wie ist es möglich, „daß in demselben Kopfe neben¬
einander eine solche Unmasse falscher Vorstellungen und von
Urteilen, die sowohl untereinander als mit der Wirklichkeit in
so großem Widerspruch stehen, bestehen können, und zwar bei
wohl erhaltener formaler Logik, anscheinender Besonnenheit und
im ganzen richtiger Auffassung der Situation ? Kun, meine Herren,
der Tatsache gegenüber, die doch nicht zu leugnen ist, und nach
der Entstehungsgeschichte des augenblicklichen Zustandes kann