Psychologie der Arbeitshand
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unterlegen, wenn die Arbeitshand als Dominanzfunktion „Auf¬
merksamkeitsspaltung” bedingt oder „Differenzierung” der Tast-
wabrnehmung anderer Form. Das zeigt sieh bei den hohen Aus¬
schußziffern überall, wo Farbige Sortiertätigkeiten, selbst bei
Naturprodukten (Früchte, Rohr usw.) rein manuell zu vollziehen
hatten und wo sie leicht aus Insuffizienz in der Handleistung ab-
fallen. Andrerseits ist es möglich, daß Naturvölker auf gewohnten
Gebieten uns überlegen sind, genau so wie sie in der optischen
Fernsicht erfolgreicher bleiben, ohne indessen bei komplizierter
optischer Gestaltwahrnehmung unmittelbar uns vergleichbar zu
sein. Zu den manuellen Tätigkeiten rechnen hierher viele Haus¬
gewerbe, vor allem also Frauenarbeit, dann Handfunktionen
beim Reiten, der Jagd und dem Fischen. Diese grundsätzlichen
Andeutungen müssen uns genügen. Daß bei entsprechender
Dominanzfunktion der Naturmensch wiederum versagen kann,
erweisen die Untersuchungen an Negerzeichnungen und an der
optischen Weltdarstellung durch die Hand überhaupt1). Damit
kommen wir zugleich auf einen zweiten Fall.
ß) Historische Entwicklungsstudien.
Man kann nämlich grundsätzlich von den Naturvölkern die
Entstehung der Handarbeiten ableiten und so die technologische
wie manuelle Quelle handwerklichen Tuns auf suchen. Damit
würde man Gesichtspunkte der beschreibenden Kulturgeschichte
einführen, um etwa die manuellen Bearbeitungen des Kupfers,
des Goldes, der Kleider oder sonst irgendeines Materials darzu¬
stellen. Es ist verständlich, daß eigentlich jede anatomische
Betrachtungsweise der Naturvölker und jede anthropometrische
Untersuchung diese Beziehung zwischen kultureller Arbeitstätig¬
keit und Skelett- oder KörperentWicklung berücksichtigen muß.
Hierbei haben die Darstellungen von Verworn2) und anderen
dann auch den ungeheuren Einfluß der Wandlungen des Urbildes
in der reproduktiven Technik vor Augen geführt. Bezogen auf
Zeichnungen muß man also zum Schlüsse kommen, daß die
Kopie des Originals zu erheblicheren Wandlungen führt. Daher
wird man also bei Untersuchung irgendeines Musters die Mög¬
lichkeit der Kopiewandlung sich klar machen müssen, also
gegebenenfalls die Unmöglichkeit, aus der Vorlage auf die zeich¬
nerische Funktion der Arbeitshand der vergangenen Epoche
zu schließen, einsehen. Man kann demnach methodisch zweierlei
b Franke: Geistige Entwicklung der Negerkinder. Leipzig 1915.
2) Verivorn: Psychologie der primitiven Kunst. Jena 1917; Kühn: Kunst
der Primitiven. München 1924; Malerei der Eiszeit. München 1924; Einstein:
N egerplastiken. München 1922.
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