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Der Begriff des „Erhabenen.
in diesen Gefühlen nur mit sich beschäftigt; fühlt nur sich selbst;
sein Dasein nimmt damit an Stärke zu; der Mensch meint in Ver¬
gleich mit andern Zeiten nur in solchen gelebt zu haben, wo diese
Gefühle ihn lebhaft erfüllt haben. Deshalb gilt die leidenschaftliche Liebe
mit ihrer starken Lust und Qual als die Zeit des höchsten Lebens,
des höchsten Seins ; deshalb hat die Jugend eine höhere Lebendigkeit
als das Alter; deshalb gilt das alltägliche Leben, wenn man es hinter
sich hat, wie ein Traum, und nur die Zwischenfälle mit tiefen Ge¬
fühlen bilden die hellen Stellen, wo der Mensch wirklich gelebt zu
haben meint, wo die Erinnerung lebendig und alles Andre darauf be¬
zogen ist,
4. Alle Kräfte der Seele werden durch diese Lust- und Schmerz¬
gefühle höher gespannt, und wenn es auch nicht zu deren Gebrauch
kommt, so weiss doch der Mensch, dass in diesen Zuständen sie ihm
in höherm Maasse zu Gebote stehen. Die ganze Welt hat in solchen
Gefühlszuständen nur Beziehung auf das Ich; das Ich ist das herr¬
schende, bestimmende; seine Lust, sein Schmerz ist das Maass, nach
dem Alles, Menschen und Sachen gemessen werden; sie kommen
sämmtlieh nur als Ursachen dieser Gefühle in Betracht. Nicht blos
die Freude und die Lust steigert das Dasein des Menschen, sondern
auch sein Schmerz. Der Schmerz ist keineswegs eine Verminderung
oder Schwächung des Daseins, wenn er auch später nachtheilige Folgen
für die Gesundheit haben kann; als blosser, gegenwärtiger Schmerz
ist das Ich in ihm eben so stark lebendig, wie in der Lust, und die
Kräfte werden meist von dem Schmerz stärker wachgerufen, als von
der Lust.
5. Im geraden Gegensatz zu diesen Lust- und Schmerzgefühlen
stehen die Gefühle der zweiten Klasse, die der Achtung, wie sie,
in Ermangelung eines bessern umfassenden Wortes, bezeichnet worden
sind. Zu ihnen gehört das Staunen, die Bewunderung bei grossen
Naturereignissen, bei dem Anblick mächtiger Naturkräfte; das Staunen
und Schaudern bei dem ungezähmten Ausbruch der Leidenschaften
ausserordentlich begabter Menschen ; die stumme Unterwerfung unter
den Gang des unerbittlichen und unergründlichen Schicksals ; die Ehr¬
furcht vor den sittlichen Autoritäten; die Andacht in der Verehrung
Gottes; die Ehrfurcht und sittliche Beugung vor den Geboten der
Gottheit oder des Königs oder vor dem betäubenden Willen des ganzen
Volkes. Es gehört dahin die scheue Ehrfurcht, mit der die unmündi¬
gen Kinder dem strengen Gebote des Vaters gehorchen; endlich die
Achtung gegen uns selbst und gegen Andre, insoweit in dem Handeln
die Vollziehung jener Gebote der sittlichen Autoritäten erkannt wird.