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Die Besonderung des verzierenden Schönen
plastischer geworden ; beide haben sich, ebenso wie das Benehmen von
den leeren Formen befreit und sind dadurch für die bestimmtere und
feinere Bezeichnung der Gefühle geschickter geworden. Es ist dies
nicht zu verwechseln mit der blossen Ausschmückung der Bede und
Briefe durch Aussprüche und poetische Bilder aus den Werken der
Dichter; diese Gewohnheit ist eher ein Fehler, während jenes ein’.Vor-
zug ist, aus dem die feinsten Beize des Umganges hervorgehen.
C. Die Wirkung des verzierenden Schönen.
1. So wie das verzierende Schöne bei den rohen Völkern das
einzige Schöne ist und auch bei den Kultur-Völkern dem Kunst¬
schönen geschichtlich vorausgegangen ist, so wirkt, wie erwähnt, später
die ausgebildete Kunst auf die Verzierung des Bealen zurück und
das Gebiet des verzierenden Schönen steigt mit der Fortbildung der
Kunst und mit dem Beichthum der Nationen. Diese Thatsachen zeigen
den hohen Werth des verzierenden Schönen und seinen Zusammen¬
hang mit dem Kunstschönen. Schon deshalb hat die Wissenschaft
des Schönen kein Becht, es nur anhangsweise zu behandeln und ihm
neben dem freien Schönen nur aus Toleranz eine Stelle einzuräumeri.
2. Der Werth und die Wirkung des verzierenden Schönen kann
in Schwierigkeiten verwickeln, wenn man den begrifflichen Gegensatz
der realen und idealen Gefühle festhält, wie sie früher (I. 54) dar¬
gelegt worden sind. Indem das verzierende Schöne eine Mischung
von Idealem und Bealem ist, scheint damit eine Verschmelzung der
idealen und realen Gefühle in ihm gesetzt zu sein, welcher diese nach
ihren Begriffen widerstehen. Allein es ist schon früher (I. 335) be¬
merkt worden, dass bei der fliessenden Natur der Seele die Gränzen
der realen und idealen Gefühle in Wirklichkeit nicht in der Schärfe
bestehen, wie sie die Wissenschaft für ihre Begriffe hinstellt, und dass,
wenn auch eine volle Verschmelzung beider nicht eintreten kann, doch
ein gleichzeitiges Bestehen beider in der Seele und ein Einfluss der
einen Art auf die andere statthaft ist.
3. Die Wirkungen des verzierenden Schönen oder des verzierten
Bealen lassen sich auf drei Arten zurückführen. In der ersten be¬
stehen die realen und idealen Gefühle nur gleichzeitig neben ein¬
ander in der Seele, ohne einen Einfluss auf einander zu üben, weil
beide in ihrem Inhalte einander zu ungleich sind. Oft besteht auch
nur ein zeitlicher Wechsel derselben, bei dem sich das reale Gefühl
mit dem idealen ablöst. Dieser ersten Art gehören vorzüglich die