Der Begriff und die Gesetze des verzierenden Schönen.
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sofort die Anforderungen, wie an ein freies Schöne auf und die
Mängel verletzen. Umgekehrt ist die ideale Freude, welche aus dem
verzierenden Schönen hervorgehen soll, unmöglich, wenn sein realer
Gebrauch dadurch so erschwert, so unbequem und unsicher gemacht
ist, dass diese Noth und Mühe* alles andere verdrängt.
11. Beispiele dazu bieten die Reden Cicero’s, in welchen der
reale Zweck über das Formschöne des Periodenbaues und Tonfalles
vernachlässigt ist; der Ponte Rialto in Venedig, wo der Bogen der
Brücke im Interesse der Schönheit so hoch geschwungen ist, dass
schwere Wagen nicht darüber kommen können. Vor Allem gehören
hierher die Moden in der Kleidung, welche zum grossen Theil im
Interesse eines, freilich oft ausgearteten, Schönen die realen Zwecke
der Kleidung auf das empfindlichste beschränken und selbst die Ge¬
sundheit gefährden.
12. Ein drittes Gesetz ist, dass der Gegenstand und Inhalt
des .verzierenden Schönen mit der Natur und dem Gebrauche des
realen Gegenstandes im Einklang stehe. Die elementare Natur des
verzierenden Schönen und seine Unterordnung unter den realen Gegen¬
stand, dem es sich anschmiegt, so wie die gestiegene Fertigkeit in
der technischen Fabrikation hat zu den gröbsten Verstössen gegen
dies Gesetz in den letzten Jahrhunderten geführt. Die Alten haben
hierin einen wunderbar feinen Sinn sich bewahrt; alle ihre Geräthe
zeigen diesen Einklang, der theils aus dem überwiegenden Sinn der
Griechen für das Ideale sich erklärt, theils aus der Nothwendigkeit,
alles mit der Hand, ohne Maschinenarbeit, herzustellen. Auch die
Orientalen haben bei der Einfachheit ihres Geräthes hier eine Rein¬
heit des Styles sich erhalten, der bei den Kulturvölkern Europa’s
völlig verschwunden ist.
13. Die Beispiele dazu können in jedem Gewölbe von Schmuck
und Geräthe gefunden werden; insbesondere hat die Pariser Ausstel¬
lung von 1867 gezeigt, wie weit hier Europa, trotz seiner Erfindungen,
Maschinen und technischen Ueberlegenheit gegen die einfachem Völker
anderer Kontinente zurücksteht. So liefert die neueste Broncearbeit
Leuchter in Gestalt von Lampen, die auf schmalem Fuss in dünnem
Stiel sich hoch erheben und in ihrem obern Gefäss statt Oel die Hülse
für das Wachslicht haben; es ist hier ein realer Leuchter mit einer
idealen Lampe in verkehrter Weise verbunden. So müssen bei den
Lampen oft kleine weibliche Bronce-Figuren schwere und grosse Oel-
Gefässe mit Glocken auf dem Kopfe tragen, die das Dreifache höher
und umfangreicher sind, als sie selbst. Dem Ideale wird hier ein Un-