Volltext: Aesthetik auf realistischer Grundlage. Band 2 (2)

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Die Vorbedingungen der Erzeugung des Schönen. 
mal diejenige Gestaltung des Staates und der Gesellschaft, welche 
diesen Zuständen am besten entspricht, und welche den, in diesem 
Volke zu dieser Zeit herrschenden Ideen und Richtungen die volle 
Entfaltung gestattet. In Folge der steten Fortbildung dieser that- 
sächlichen Zustände kann die wirkliche, vorhandene Staatsform bei 
einem Volke niemals diese Bedingungen vollständig erfüllen; die Frei¬ 
heit wird deshalb von dem Volke stets als ein noch Unerreichtes, als 
ein Ideal aufgefasst, das erst der Verwirklichung bedarf. Während 
des Strebens danach, während der Arbeit verändern sich aber schon 
wieder die Grundlagen, auf welchen dies Ideal beruht; das Ideal 
passt daher nicht mehr, wenn es erreicht ist; es hat sich inmittelst 
ein neues gebildet, und so erklärt es sich, dass jedes Volk sein 
Freiheits-Ideal nie erreicht, obgleich es fortwährend die besten Kräfte 
dafür einsetzt. 
32. Aus diesen Verhältnissen ergiebt sich, dass keine Zeit eine 
frühere in Bezug auf den Grad der Freiheit nach dem Maassstabe 
der ihrigen bemessen kann und die Freiheit ihr absprechen kann, weil die 
damaligen Staatsformen denen nicht entsprechen, in denen man gegen¬ 
wärtig die Freiheit sucht. Damit fällt auch jene Meinung, welche die 
Entwicklung der Kunst von den modernen Staats- und Gesellschafts- 
Idealen abhängig machen will, und es erklärt sich daraus, dass die 
Kunst, nach Ausweis der Geschichte, selbst unter Staatsformen, welche 
jetzt zu den unfreiesten gerechnet werden, in ihrer Entwicklung hat 
vorschreiten und zur glänzenden Entfaltung hat gelangen können. 
Das Weitere über den Zusammenhang der Kunst mit den realen Zu¬ 
ständen der Völker und ihrer Geschichte gehört in die folgende Ab¬ 
theilung. 
XII. Die Geschichte des Schönen. 
A. Die Geschichte überhaupt und ihre Gesetze. 
1. Die Beobachtung lehrt, dass das Schöne nicht zu allen Zeiten 
und bei allen Völkern in gleicher Weise bestanden hat, dass das Kunst¬ 
werk nur allmählig erreicht worden ist, und dass der Fortschritt in 
den einzelnen Künsten oft ein ungleicher gewesen ist. Das Schöne 
hat deshalb seine Geschichte und dies gilt selbst von dem Natur-
	        
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