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Die Lösung im Handlungsbilde.
Zuschauers; das Kunstwerk bleibt unvollkommen. Dies gilt selbst
von dem bocbgepriesenen Drama: Romeo und Julie. Der Schluss ist
für jeden Unbefangenen der schwächste Theil dieses Werkes. Schon
das äussere Ende hat keine innere Begründung; dass der Bote den
Brief an Romeo nicht bestellt, ist rein zufällig. Aber noch bedenk¬
licher ist es, dass weder das Moment der Vergeltung noch der sitt¬
lichen Busse hier das unendlich schmerzliche Ende mildert; denn
selbst das Unrecht der Liebenden ist für die damalige Weltlage kaum
ein solches zu nennen und ist zu gering für deren schwere Leiden.
20. Viele Dichter sind bei dieser Frage durch die gewöhnliche
Meinung irregeführt, welche jedes Drama mit schmerzlichem Ausgang
für eine Tragödie hält. Indem in der wirklichen Tragödie das schmerz¬
liche Ende ganz berechtigt, ja die beste Lösung ist, meinen sie, dass
dasselbe auch für das Drama mit traurigem Ende gelfen müsse. Allein
in der Tragödie verdeckt die Majestät des Helden und der Völker
den Schmerz, die Lösung liegt da in dem Gefühl des Erhabenen ; im
Schauspiel dagegen fehlt diese Erhabenheit; hier macht sich der
Schmerz in seiner ganzen Stärke geltend und hier bedarf der Zu¬
schauer für sein ideales Mitleiden einer Beruhigung und das Kunst¬
werk bleibt, insoweit es diese nicht gewährt, mangelhaft.
21. Die Lösung muss im einfach Schönen wie im Erhabenen
begründet sein. Deshalb ist das glückliche Ende, was nicht aus
dem Charakter und der Handlungsweise der Personen hervorgeht,
keine Lösung, selbst wenn es aller Noth ein Ende macht. Dahin ge¬
hören die plötzliche Erbschaft aus Ostindien; die Entdeckung der vor¬
nehmen Abstammung. Deshalb haben auch »Wilhelm Meisters Lehr¬
jahre« keine befriedigende Lösung, obgleich das Buch mit der Hei-
ratk endet. Deshalb entbehren die modernen Schicksalstragödien der
Lösung. Sie sind keine Tragödien, weil das Erhabene in ihnen fehlt
und ihr trauriger Schluss entbehrt des versöhnenden Momentes; das
blinde Fatum kann es in diesen bürgerlichen Kreisen nicht ersetzen.
22. In Unkenntniss der wahren Natur des einfach Schönen haben
die neuern Dichter, namentlich bei den Franzosen, geglaubt, die Hand¬
lung von Anfang ab mit den schauerlichsten und erschütterndsten
Bildern des Schmerzes erfüllen zu können, wenn nur ein glückliches
oder sittliches Ende den Abschluss bildet und die Versöhnung bietet.
Allein das einfach Schöne ist das Bild der Lust; das Kunstwerk kann
wrohl den Schmerz, als Element, in sich aufnehmen; allein es niuss
ihn verarbeiten und dazu gehört, dass der Schmerz nicht einen zu
grossen Raum in dem Werke einnehme. Wenn der Leser durch neun
Zehntel des Romans mit dem Helden in den raffinirtesten Qualen des