Der Begriff der Lösung im Kunstwerk.
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2. Die Lösung ist eine Bestimmung, die erst am Kunstwerke
hervortritt. Das elementare Schöne, z. B. das Blau des Himmels,
der einzelne Flötenton, das Bild eines Veilchens bedarf keiner Lösung,
weil nur ein elementares Gefühl in ihnen vertreten ist. Erst die
Mannichfaltigkeit des Inhaltes im Kunstwerk treibt zur Lösung. Es
ist bereits (II. 166) dargelegt worden, welche mannichfachen Gefühle
bis zu den äussersten Gegensätzen den Inhalt des Kunstwerkes bilden
können und wie kein Kunstwerk diese Unterschiede entbehren kann.
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3. Im realen Leben laufen diese Gegensätze neben einander her,
eins drängt gegen das andre und es bleibt zufällig, welches die Ueber-
macht gewinnen und wie lange es diese Macht behalten wird. In der
Kegel muss es bald wieder einem neuen Gefühle weichen und der
Wechsel geht ohne Ende fort; nur selten zeigen sich Abschlüsse, die
als Ergebniss eines Unternehmens, eines Kampfes einem bestimmten
Gefühl eine schliessliclie beruhigende Macht auf längere Zeit gestatten.
4. Das Kunstwerk kann sich diesen Zufällen nicht unterwerfen.
Es gehört der idealen Welt an, welche der Mensch nur geschaffen hat,
um die Mängel der realen zu bessern und um seinen sittlichen und
freudigen Gefühlen eine reinere Entwicklung in idealer Form zu be¬
reiten. Daraus folgt, dass die Kunst nicht blos das Störende und
Bedeutungslose des Bealen aus ihrem Bilde durch Idealisirung ent¬
fernen, dass sie ihren einzelnen Werken nicht blos eine reichere und
dichtere Mannichfaltigkeit und eine strengere Einheit gewähren wird,
sondern auch, dass sie dem Chaos der realen Gefühle und dem Zufall
ihres Auftretens und Verschwindens entgegentreten und ihn in ihre
Bilder nicht einlassen wird.
5. Die Kunst wird trotzdem die Mannichfaltigkeit der Gefühle
nicht vernichten, vielmehr eher steigern ; sie wird nicht blos die Lust,
sondern auch den Schmerz, nicht blos das Erhabene, sondern auch
das Gemeine und Verächtliche in ihre Bilder aufnehmen; sie wird
diese Gegensätze zu den mannichfachen Besonderungen fortführen;
aber sie wird es nicht dem Zufall überlassen, mit welchem Gefühle ihr
i
Werk abschliessen, welches Gefühl als das herrschende in der Seele
des Beschauers schliesslich beharren soll
6. Bei der Frage nun, welche Arten von Gefühlen geeignet
sind, diesen Abschluss zu bilden, muss auf die frühere Untersuchung
der Gefühle zurückgewiesen werden. Indem das Wesen der Seele
nur in dem Für-sich-sein der Lust oder in dem Aufgegangen-sein in
das Erhabene sich vollendet, indem die Seele ebenso von dem Schmerze,
wie von dem Gemeinen abgestossen wird und alle Kräfte in Bewegung
setzt, um ihnen zu entgehen; indem alles Streben des Menschen in
v. Kirclunanu, Philos, d. Schönen. II.
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