Die Auffindung des Begriffes des Schonen.
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gestellt Alles Schöne giebt sich nun als das Bild eines andern;
es ist nicht die Sache selbst, sondern nur ihr Bild. Sache und Bild
sind aber beide ein Seiendes ; durch den Eintritt des Schönen zerfällt
somit das Seiende überhaupt in zwei Arten, welche hier mit realem
und idealem Sein bezeichnet werden sollen.
9. Das Ideale ist das Bild des Bealen. Im Schönen spiegelt
sich die reale Welt in ihrer reichen Mannichfaltigkeit wieder.- Die
Meere und die Länder, die Berge und die Thäler, die Thiere und
die Menschen, die Gefühle und das Wollen, das Handeln im Grossen
und im Kleinen, das Leben in Tier Familie und im Staate, die Thaten
der Einzelnen und der Völker, alles, was in der realen Welt besteht
und vorgeht, kehrt als Bild im Schönen wieder.
10. Das Schöne ist somit zunächst eine bildliche Wiederholung des
Realen. Als solches Bild ist es aber nicht blos ein Gedankending,
oder ein Blosses Wissen ; sondern es hat S e i n und Wahrnehmbarkeit wie
das Reale. Als Bild hat es aber immer nur einzelne Bestimmungen mit
seinem Realen gemein. So hat die Marmorsfatüe nur die Gestalt und
die Grösse von dem realen Menschen, nicht auch seine Farbe, seine
Bewegung, sein Inneres. So hat das Oelgemälde nur die Umrisse,
die Farben und die Schattirung seines Originals; so hat das Musik¬
stück nur das Tönende, die Bewegung und den Rhythmus des realen
von der gleichen Stimmung erfüllten singenden, sprechenden oder
sich bewegenden Menschen. So hat das dichterische Bild zwar eine
grössere Zahl von Bestimmungen mit seinem Originale gemein, allein
es bietet sie nur als Vorstellungen, nur in der Form des Wissens,
während das Original sie in der Form des Seins besitzt.
11. So folgt je nach dem Material und den einzelnen Künsten
das Schöne in verschiedener Weise der realen Welt und bietet ein
verschiedenes Abbild derselben. Es giebt Nichts in dem Realen, was
das Schöne nicht in irgend einem Materiale wiederholen könnte;
Grosses und Kleines, die Bewegung und die Ruhe, Körperliches und
Geistiges kann das Schöne in seinem Bilde wiedergeben.
12. Indem das Schöne sich so zunächst als eine zweite ideale
Welt neben die reale stellt und dabei ihren Stoff nur aus dieser ent¬
nimmt, tritt die Frage hervor, welches Interesse der Mensch an einer
solchen Verdoppelung der Welt nehmen könne; wie es sich erkläre,
dass er Arbeit und Zeit an ihre Herstellung wenden und Genuss an
ihr finden könne, während sie doch, als Abbild des Realen, nur eine
mangelhafte Copie jener darstelle?
13. Hier bietet sich als nächste Antwort, dass der Mensch der
eigene Schöpfer dieser idealen Welt ist. So sagt Schiller (Briefe
v. Kirchmann, Philos, d. Schönen. I. 4