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Das Seelische überhaupt.
In dem Zustande der Achtung beugt sich das Ich vor dem Erhabenen;
es fühlt sich als ein Nichts ihm gegenüber ; es geht in dessen Hoheit
auf und findet sich erst in ihm, als ein in ihm Aufgegangenes wieder.
Beide Arten der Gefühle bilden so zwei entgegengesetzte Pole, zwi¬
schen denen der Mensch sein Leben hindurch hin und her schwankt;
keiner allein vermag ihn dauernd festzuhalten. Auch Schiller sagt
(Ueher die tragische Kunst): »Wir kennen nicht mehr als zweierlei
»Quellen des Vergnügens; die Befriedigung des Glückseligkeitstriebes
»und die Erfüllung moralischer Gesetze.« Falsch ist hierbei nur, dass
er das sittliche Gefühl ein Vergnügen nennt; denn damit fielen alle
Gefühle in eine Art zusammen, und wären nur in ihren Ursachen,
nicht in ihrer Art verschieden. Das sittliche Gefühl igt vielmehr schon
seiner Natur nach der Gegensatz der Lust- und Schmerzgefühle. Nie¬
mand wird die Andacht des Frommen in der Kirche ein Vergnügen
nennen.
6. Indem so diese beiden Gefühlszustände den Kern alles Lebens,
alles Daseins und das Maass jedes Werthes im Realen für den Men¬
schen bilden, ist es durchaus natürlich, ja noth wendig, dass diese
Gefühle in idealer Form auch den Kern seiner idealen Welt des
Schönen bilden und dass der Mensch das Schöne nur schafft und
sucht um dieses Kernes willen. Das Reale hat nur Werth, Inter¬
esse, Bedeutung, Reiz für ihn um irgend eines dieser Gefühle willen;
nur deshalb unternimmt er das Schwerste, nur deshalb opfert er sich
dem Vaterlande, nur deshalb stürzt er sich in die Gefahren des Stur¬
mes und der Wüste, nur deshalb sinkt er in das Verbrechen. Wie
sollte da ein anderer Kern möglich sein für den Inhalt einer Welt,
die er sich selbst schafft und wo er frei ist von den Fesseln der realen.
7. Wenn so schon aus dem Allgemeinen folgt, dass die Gefühle
den Kern und Inhalt des Schönen bilden, so wird sich dasselbe auch
aus der fortschreitenden Betrachtung des Besonderen ergeben. Alle
Bedenken und Zweifel dagegen werden in dem Folgenden ihre Er¬
ledigung finden. Dieser Auffassung entgegen haben die meisten Sy¬
steme den Inhalt des Schönen in ein Wissen gesetzt. Wolff nennt
es die Vollkommenheit, Kant die Zweckmässigkeit, Hegel die Idee;
alles Worte, welche nur ein Denken, ein Beziehen bezeichnen. In Folge
dessen sind diese Systeme auch genöthigt, die Bedeutung des Schönen
in der, durch es vermittelten Erkenntniss zu suchen,- und wenn
sie noch ein Gefühl dabei anerkennen, wird dies nur als eine reale
Lust aus dem Wissen aufgefasst.
8. Allein da diese Begriffe der Vollkommenheit, der Zweckmässig¬
keit nur Beziehungen des Wissens ausdrücken, so fehlt ihnen alle