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»daß er die Worte sogleich fast fehlerfrei herausbrachte, nachdem
er bis zu diesem Zeitpunkt sozusagen eine fremde Sprache geredet,
ist immerhin merkwürdig; denn es gehören dazu auch motorische
(von den Bewegungen der Sprachorgane zurückgebliebene)
Vorstellungen in der richtigen Aufeinanderfolge, wodurch
allein erst die Ausführung der wirklichen in gleicher Weise angeord¬
neten Sprachbewegungen möglich wird.« Daß das Kind sich vorher
heimlich im lauten Sprechen geübt hätte, hält Stumpf für ausge¬
schlossen, da man das hätte bemerken müssen. — Wie erklärt sich
das Rätsel? In der Diskussion, die dem Vortrag folgte, hat Dr. P. Möller,
ein Arzt, der früher selbst Lehrer gewesen war, die Lösung angedeutet,
die mir als die richtige erscheint. »Könnte nun nicht«, fragte er, »der
Fall gedacht werden, daß das Kind die hochdeutschen Klangbilder
stumm mitgesprochen hat, ebenso wie wir selbst es bei der Er¬
lernung fremder Sprachen an uns bemerken? ... Ich erinnere mich aus
meinen Erfahrungen als Lehrer, daß das stumme Mitsprechen bei dem
Unterricht in den Seminarklassen eine große Rolle spielt.«
Das vorbereitende innere Nachahmen ist also wahrscheinlich eine
unentbehrliche Vorbedingung für tausendfältige imitatorische Erwer¬
bungen, die sich bei dem heranwachsenden Menschen aus der Wahr¬
nehmung seiner Umgebung entwickeln, d. h. es ist als ein Verhalten von
allgemein biologischer Zweckmäßigkeit schon vorhanden, ehe es sich
zum ästhetischen Spiel der inneren Nachahmung umgestaltet. Wenn
wir nun annehmen, daß die motorische Nacherzeugung der bewegten
oder ruhenden Form Empfindungen im Bewußtsein auslöst, so wird
daraus eine Nachbildung des Objekts durch Bewegungsempfindungen,
also eine »kinästhetische Na eherzeugung«, die uns den Weg
zu den Gefühlen des ästhetischen »Miterlebens« zeigt. Indem das
Kind das vorerzählte Märchen innerlich mitspricht, die gesehenen Be¬
wegungen ringender oder wettlaufender Knaben, die auffallende Hal¬
tung eines traurigen oder zornigen Menschen innerlich mitmacht, schafft
es sich günstige Bedingungen für jenes organische Ergriffenwerden,
ohne das für unsere Theorie eine Gemütsbewegung nicht eintreten
könnte. Zum Teil mögen dabei die Bewegungsempfindungen selbst
schon Gefühlswerte mit sich führen, zum Teil werden sie nur als
Mittel dienen, um die Erregung weiter nach innen zu leiten,
so daß sie jene Organe ergreift, die wir als den Hauptsitz des Ge¬
fühlslebens betrachtenx). Jedenfalls können aber auf diesem Wege
Bewußtseinsinhalte erzeugt werden, die dem Eindruck entsprechen,
ö Diese Weiterleitung ist eine bekannte Tatsache. Wenn man z. B. plötzlich
drohend die Stirn runzelt, so schließen sich die Kiefern fester und von da aus be¬
wegt sich eine Erregungswelle nach innen.