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Der Fall Wagner.
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um. Das schreibe ich wieder so roh hin, und doch packt mich
das Grausen dabei.“
Beim Anblick von Eglosheim kommen ihm bittere Gedanken,
daß das Besitztum seiner Eltern hatte verkauft werden müssen.
,,Die Eglosheimer haben ihren Profit an uns gehabt. Ich gönne ihnen
denselben nicht, ich mag sie nicht. Und ich möchte darum gebeten haben:
Wenn ich auf der Eglosheimer Markung falle, so werft mich lieber in den
Monrepos-See den Fischen zum Fraß, als daß ihr mich auf eurem Kirchhof
begrabt. Ist es nicht eine sonderbare Erscheinung, daß überall, wo ich
leben muß, die ausgesuchteste Lumpenbagage und das ge¬
riebenste Spitzbubenvolk zur Stelle ist? Und ich bin doch von
Herzen sanftmütig und trübe kein Wässerlein. Wenn ich jetzt Drachen¬
gift verspritze, so ist zu bedenken, daß dieses einst fromme
Milch gewesen ist.“
Der Anblick des Kaufhauses, das einst seiner Mutter gehörte,
erweckt in ihm bittere Gefühle:
„Meiner Mutter Kaufhaus, an dem ich vorbeikam, siecht auch elendig¬
lich dahin. Wenn ich’s nicht bald anzünde, sinkt es vor Schwäche in sich
zusammen. Mein Geburtshaus haben sie neu geweißnet und meines Vaters
Haus ist um schweres Geld verkauft worden. Es ist sicher: Hätte meine
Familie den kostbarsten Edelstein besessen, kein Mensch hätte auch nur
einen halbwegs anständigen Preis dafür bezahlt. Hätten wir ihn dann aus
Not verschleudert, ich wette, im selben Augenblick wäre er in seinem Wert
erkannt worden und ein ganzes Dutzend Räuber hätten sich hintereinander
damit bereichert. Aber was ist dagegen zu sagen? Wir sind schwach, und
was schwach ist, soll untergehen. Das ist ganz in der Ordnung.“
Wagners Neigung zu Phantasiespielen im Sinne der Größe
bringen uns die Seiten 205 und folgende, aber auch hier wieder
kehrt er am Schluß zu seinem Grundthema zurück, indem er sagt:
„Hoffentlich ist es das zweitletzte Mal gewesen, daß ich meine Heimat
besucht habe.“
Das folgende Kapitel über den Krieg, über Patriotismus und
ähnlichem kann hier außer Erwähnung bleiben. Ebenso die anderen
Betrachtungen über Tagesereignisse, die hier eingeflochten sind.
Mit Seite 225 wendet sich Wagner zu seiner Famüie und sagt:
„Ich will lieb sein zu denMeinigen, ehe ihre Lebenszeit ver¬
strichen ist. Ich will mich nicht durch Selbstanklagen schwächen, wenn
sie tot vor mir liegen. Meine Kinder nehme ich mit ins Café, wo sie die guten
Sachen essen dürfen. Die Buben dürfen Ponny reiten auf der Doggenburg
und den Mädchen kaufe ich die gewünschten gelben Schuhe. Und wenn sie
alle vier Prügel verdienen, so will ich sie ihnen erlassen und ihnen dazu noch
schöne Geschichten erzählen, daß sie lachen müssen. Denn ich denke,
man müsse eins ins andere rechnen, und fürs Totgeschlagenwerden kann man