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Der Fall Wagner.
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die Schrift selbst ist in dieser Schreibweise verfaßt. Im „Unter¬
offizierschulmeister“ kommt Wagners bitterer Grimm über
sein qualvolles Leben kraß zum Ausdruck. Ein wilder Haß gegen
die Familie als Institution, eine bittere Verhöhnung des Standes
der Schulmeister, die immer unzufrieden, nicht Fisch noch Fleisch
seien, ein Räsonnieren über Behörden, Pfarrer, die Dummheit
der Schulkinder, ein Schelten über seine eigene Schwäche und
Willenlosigkeit stehen im Mittelpunkt der Schrift, in der er halb
mit Hohn, halb mit Ernst die Forderung stellt, man solle die Schul¬
lehrerseminare abschaffen, die Unteroffiziere als Schulmeister
in die Schulfront einrücken lassen, Schulpensum und Stundenzahl
verringern und so körperliche Tüchtigkeit der Kinder und Ordnung
im Schulbetrieb erzielen. Der heutige Volksschullehrer sei ein
destruktives Element, „ich merke es deutlich an mir“. Der ganze
Stand sei verbildet; im Schulunterricht, namentlich in der Gram¬
matik werden sehr viele Torheiten begangen. Gegen die Religion
habe er nichts einzuwenden, habe sie aber nur selten zu sehen
bekommen. Über sein seelisches Leiden geben folgende Stellen
Auskunft :
„Ich habe es aufgegeben, mich retten zu wollen, und ich
will ruhig am Schandpfahl stehen“. . . .
„Und wenn es ihm zum Sterben ist,
so fängt er an zu prahlen.
Und seines Lebens ganzen Mist
will er mit dem Tod bezahlen.“
An anderer Stelle:
„Ich aber bin geboren in Schwäche und werde sterben in
Schwäche. Die Schwäche aber ist das größte Verbrechen. Dies
Beispiel habe ich auch gegeben.“
Wagner schätzt in der Schrift den Willen als das Höchste
ein und nennt sich selbst einen „Schlappschwanz“. An einzelnen
Stellen finden sich Anspielungen auf seine spätere Mordtat. Auch
Größenideen sind an manchen Orten eingestreut. So sagt er einmal
von seinen Gedanken, daß sie in „Adlerhöhe“ stehen. Er spricht
einmal von sich, allerdings mit ironischem Beiklang, von des „Kaisers
Kanzler' ‘.
In der Biographie II. Teil, der in die letzte Zeit des Radel-
stetter Aufenthalts fällt, macht sich ein grimmiger Humor
geltend. Die Schrift ist in einzelne Abschnitte eingeteilt, von denen
jeder eine bestimmte Überschrift hat. In der ersten, „Der Segen