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Kasuistik des Massenmords.
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Ausführliche und gute Beschreibung der Persönlichkeit des Täters.
Annähernd taubstumm, hochgradig schwachsinnig, kann nicht lesen
und schreiben, aber manuell geschickt. Dabei störrisch, rechthaberisch,
mißtrauisch, empfindlich, nachtragend und rachsüchtig. Später
sexuell sehr appetent. Wie es scheint, auch Verstimmungen. Lernt
— trotz der Warnung des Schulmeisters! — das Schlächterhandwerk.
Die Tat wird in einer offenbaren Verstimmung verübt. Er fällt an
dem Tage auf, man weiß nicht, ob er betrunken oder ,,verrückt" ist
(das erstere erweist sich als unwahrscheinlich), er ist stumm, geladen
und brütet vor sich hin. Aus diesem Zustande heraus schneidet er
plötzlich ohne unmittelbare Veranlassung der Magd den Hals durch,
ersticht seine Schwägerin, rennt dann in die Wohnung des Schullehrers,
geht auch auf ihn mit dem Schlachtmesser los und ersticht die ihren
Vater verteidigende Tochter des Lehrers; ihn selbst verwundet er nur
schwer. Danach begibt er sich in ein anderes Haus, bringt sich eine
schwere Wunde am Halse bei und wird gefangen. Motiv: die Magd habe
ihn nicht heiraten wollen, die Schwägerin habe auf ihn geschimpft,
der Lehrer habe gesagt, man müsse ihn forttun. Die Tat ist unmittel¬
bar Ausfluß der abnormen Veranlagung des taubstummen, mit epilep¬
toiden Zügen behafteten Idioten. G. wird in dem ausführlichen und
gründlichen Gutachten als unzurechnungsfähig bezeichnet. Er wird
in einer Irrenanstalt interniert.
98. v. Krafft-Ebing, Schwere Verletzung der Mutter und der Frau, wahr¬
scheinlich in transitorischer Geistesstörung a potu. Friedreichs
Blätter für gerichtliche Medizin. 35. 1884. S. 372.
Ein 50 Jahre alter Mann, betrunken und schlafend, wird von seiner
Mutter angerufen. Er erhebt sich, geht auf die Mutter los, bringt ihr
zwei Stiche bei, wendet sich dann gegen die Frau, schneidet sie mit
dem Rasiermesser in Hals und Hinterkopf, küßt die Bewußtlose und
schießt sich unmittelbar danach mit einer nur mit Pulver geladenen
Pistole gegen das Kinn. Keine Erinnerung an die Tat.
Schwerer Gewohnheitstrinker mit Neigung zu Gewalttätigkeiten im
Rausche. Pathologischer Rausch wird von den Gutachtern angenommen.
99. Lombroso, Der Soldat Misdea. Gemütsblödsinn und epileptischer Zorn.
Das Tribunal, Zeitschrift für praktische Strafrechtspflege. 1. 1885. S. 129.
Bei einer Streiterei in einer italienischen Kaserne gerät der Soldat M.
über eine vermeintliche Beleidigung seiner Landsleute in Wut. Er
sammelt seine und anderer Soldaten Patronen, und als sich die Kame¬
raden zu Bett begeben haben, fängt er plötzlich an, zu feuern. Er
gibt 52 Schüsse ab, trifft 13 Personen und tötet davon 7. Die Analyse
des eigenartigen Menschen, die Lombroso gibt, ist sehr ausführlich
und ist ein sehr instruktives Beispiel für seine Beschreibung des ge¬
borenen Verbrechers, dessen Züge seiner Meinung nach in dem vorliegen¬
den Falle durch die Kombination mit Epilepsie besonders verschärft
hervortreten.
Hans W. Gruhle. Albrecht Wetzel.