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Der Fall Wagner.
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Aber es ist doch keine Kleinigkeit, Weib und Kinder umzu¬
bringen. Seit 6 Jahren ist mein steter Gedanke Mord. Er erwachte
mit mir und legte sich nieder mit mir. Er störte mich bei meiner
Arbeit und ängstigte mich in meinen Träumen. Wer hat so oft
wie ich Beil und Dolch zu Bettgenossen gehabt? Aber ich war
ein schwacher Mensch.
Daß ich meine Familie töten muß, ist klar. Wer das nicht
versteht, mit dem rechte ich nicht. Die gemeinen Menschen, die
mich gequält haben, möchten natürlich mit ihren zweideutigen
und spitzen Reden auch noch meine Kinder quälen. Nur ihre
Feigheit legte ihrer Gemeinheit Zügel an.
Und nun sollte ich ungerächt hingehen ! Es ist mir ein schreck¬
licher Gedanke, daß ein unglücklicher Zufall mein Rachewerk ver¬
hindern könnte. In meinem ganzen Leben habe ich kein Glück
gehabt.
Ich glaube an keinen Gott. Aber hätte ich diesen Glauben,
auf den Knien wollte ich rutschen und diesen Gott anflehen, daß
er mich morden lasse, den Teufel wollte ich anflehen, jeden Hund
wollte ich anflehen, wenn ich Beistand von ihm zu erwarten hätte.
Und als der Wunder größtes wollte ich es ansehen, wenn
mir in der Nacht des Mordes alle diejenigen vor die Pistole gestellt
würden, die zu hassen ich am meisten Grund habe. Nicht bloß
töten, martern wollte ich sie, unmenschlich tierisch — da ich nun
einmal ein Tier bin —, tierisch martern wollte ich sie. Und wenn
dieses Wunders Bedingung auch die wäre, daß ich ganz derselben
Marter unterworfen würde. Ein ganzes Hundert dieser elenden
Wichte wollte ich aushalten, denn ich bin an die Marter gewöhnt.
Nicht vergessen will ich aber auch, dankbar derer zu gedenken,
die gut zu mir gewesen sind und mir Freundlichkeit erwiesen
haben, selbst dann noch, als sie wußten, wie es mit mir stand.
Ich habe mich ihnen gegenüber sehr reserviert verhalten, weil ich
nicht wollte, daß durch mich ein Schatten auf sie fiel.
Zum Schluß gestatte ich es mir, meiner selbst freundlich zu
gedenken und folgendes Urteil über mich zu fällen: Wenn ich
das Geschlechtliche in meinem Leben abziehe, so bin ich von allen
Menschen, die ich kenne, weitaus der beste gewesen/4
Der Brief an die Lehrerschaft schließt mit den Worten: ,,Eure
Tränen kann ich ablehnen wie der Heüand, denn ich bin erlöst.