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Der Fall Wagner.
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zuwarte, trifft mich vorher der Schlag oder ich werde verrückt. Nach
außen habe ich mir nichts anmerken lassen, weil meine Umgebung, insbe¬
sondere meine Familie unschuldig war an meinem Zustand. Ich Wollte
auch nicht, daß meine Frau wegen mir beunruhigt werde. Meine Erregung
steigerte sich besonders, wenn ich etwa allein spazieren ging. Ich habe da,
freilich war das mehr in früherer Zeit, auf der Radelstetter Einöde oft laut
gesprochen. Ich sah mich im Kampf, in Auseinandersetzungen
mit anderen wegen meiner Verfehlungen und habe dagegen
gleichsam meine Verteidigung geführt; auch geflucht habe ich.
Die schwersten Angstzustände hatte ich bei Nacht zwischen
Wachen und Träumen“ . . . „Ich sah mich vor Gericht, im
Wirtshaus, in Versammlungen, im Freien, wo überhaupt Men¬
schen sind, bloßgestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben.
Der Herr Medizinalrat hier hat mich schon befragt, ob ich auch bei völligem
Wachen Stimmen gehört und Bilder gesehen habe. Darauf kann ich nur
sagen, wenn ich richtig wach gewesen bin, war meine Vernunft so stark,
daß dagegen nichts auf kommen konnte. Und beim Spazierengehen etwa
haben eben meine Gedanken, hat meine Phantasie die Bilder selbst geschaffen,
wenn ich meinen Gedanken überlassen war, mich mit meinen Verfehlungen
beschäftigt habe, die mir nicht aus dem Sinn gekommen sind. Ich
habe manchmal bestimmte Personen gesehen z. B. von Mühlhausen; an
diesen Ort habe ich eben gedacht, weil meine Verfehlungen an Mühlhausen
geknüpft sind. Namen könnte ich nicht nennen, oder Personen in be¬
stimmten Umrissen. Einmal sah ich mich auch auf dem Metzgers wagen
liegen, zerstückelt und zerfleischt; dieser Traum fällt aber schon in meine
Radelstetter Zeit. Dieser Fall ist nicht der einzige gewesen, bei dem ich
im Traum körperlich mißhandelt worden bin, ich hebe ihn nur als den ekla¬
tantesten heraus.“
Über die Gründe befragt, weshalb er gerade am 4. und
5. September seine Taten ausgeführt habe, gab er vor dem
Richter an :
,,Zur Ausführung der Tat gerade am 4. und 5* September hatte ich
keinen besonderen Grund. Ich sagte mir zwar, daß in diesen Tagen Neumond
sei; allein ausschlaggebend war dies nicht für mich. Wenn ich freilich ge¬
wußt hätte, daß es in der Nacht vom 4. zum 5. September regnen würde,
wie es in Mühlhausen tatsächlich der Fall war, so hätte ich eine andere Zeit
gewählt. Denn was sind neun Tote gegen meinen großen Haß und meine
großen Vorbereitungen; das Frauenzimmer und das Mädchen wollte ich dazu
gar nicht“ . . . „Ich ging nach Mühlhausen und sagte mir, Frauen und
Kinder schießt du nicht“ . . . ,,Wegen solch wenigen Toten wäre ich nach
Mühlhausen gar nicht hinunter. 80 wären mir nicht zu viel gewesen. Jetzt
stehe ich der Sache apathischer gegenüber, weü mein Haß verraucht ist.
Ich sage das nicht, um mildernde Umstände zu erhalten; ich spreche nur,
wie mir eben ist. Was in Mühlhausen passiert ist, interessiert mich jetzt
gar nicht mehr; das ist mir gleichgültig. Ich sage nur, wegen dieses Erfolgs
hätte ich keine 500 Patronen angeschafft. An der Größe des Unglücks in