2931
Der Fall Wagner.
107
Zeit reges Interesse gezeigt haben, macht es Ihnen wohl Freude, meine
Lebensbeschreibung, die ich vor 4 J ahren doppelt ausgefertigt habe, von mir
zu erhalten“ . . . „Lieber Herr S. ! Der Gedanke, daß Sie nun durch mich
eine Enttäuschung erleben, ficht mich nicht wenig an. Und es ist mir in
diesen Tagen ein wahrer Trost, daß ich so wenig wirkliche Freunde habe.
Doch hege ich von Ihnen die Hoffnung, daß Sie meine Tat verstehen werden,
wenn Sie sie auch nicht billigen. Denn es ist Ihnen nicht unbekannt,
wie hundsgemein das Leben mit manchen Menschen umgeht.
Vielleicht wird Herr X., dem ich Ihren und Herrn Ho.s Namen — als den
der besten Wagnerkenner genannt habe — Sie um Auskunft über mich
angehen. Glauben Sie dann nicht, daß Sie um der Freundschaft willen ver¬
pflichtet seien, meine Mängel zu verdecken oder in irgend einem Stück be¬
schönigen zu müssen. Geben Sie mich genau so, wie ich war, zu verlieren
habe ich gar nichts mehr. Ich hätte Ihnen gerne öfters geschrieben; aber ich
dachte, es sei gut, wenn Sie sich daran gewöhnten, wenig an mich zu denken.
Leben Sie wohl. Ihr Wagner.“
Auch dieser Brief wurde von Wagner am 4. September in
Großsachsenheim zur Post gegeben.
Einen Abschiedsbrief an seinen RektorM. inD. (ohne Datum)
sandte Wagner ebenfalls in Großsachsenheim ab. Darin heißt es:
„Lieber Herr Rektor! Gestatten Sie mir zum Abschied noch diese
Anrede, obgleich Ihre Gefühle für mich nicht mehr lieb sein werden. Sie
werden vielleicht viel mehr denken: Hätte doch dieser schreckliche Mensch
die Degerlocher Schule nie gesehen ! Mit diesem Wunsch begegnen Sie meinem
eigenen. Mir hängt das Schulhalten schon seit Jahren zum Halse heraus.
Wenn ich in Degerloch überhaupt aufgezogen bin, so ist das nur die Folge
meiner Schwäche, die immer davor zurückschreckte, Schluß zu machen.
Sie werden in meiner Schule alles in guter Ordnung finden; denn, arbeitete
ich auch nicht mit Lust und Liebe, so tat ich es doch aus Pflicht¬
gefühl. Ich danke Ihnen und den Kollegen allen für die erwiesene Freund¬
lichkeit und grüße Sie und sie herzlich. Ernst Wagner.“
Der kurze, an eine Schwester in B. gerichtete Brief („Nimm
Gift! Ernst.“) trägt kein Datum, ist aber wohl zweifellos auch in
diesen Tagen geschrieben und wurde ebenfalls am 4. September in
Großsachsenheim der Post übergeben.
Ein ausführlicher Brief ist ferner an Professor X. inE. ge¬
richtet. Er hat folgenden Wortlaut:
„Geehrter Herr X.! Ich heiße Ernst Wagner. Ihre Verwunderung
wird jetzt so groß sein wie Ihr Schrecken. Ist doch zur Stunde mit diesem
Namen die tiefste Verworfenheit verknüpft. Ich sehe, wie Sie sich anstrengen
müssen, gefaßt zu bleiben.
Lesen Sie weiter, Sie müssen weiter lesen; denn Sie sollen mein Ver¬
teidiger vor der Welt sein.