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Die Kunst.
Aber gerade so gut, wie sich Belehrung als Neben¬
effekt der Kunst ergeben kann, geradeso kann sie (im
gleichen weiteren Sinne) auch Verwirrung, Unklarheit und
Irrtum verbreiten und hat es auch getan. Gar manche
Erscheinungen der Literaturgeschichte geben Zeugnis da¬
für; und die traditionelle falsche Bildung des mensch¬
lichen, besonders des weiblichen Körpers in der klassischen
Kunst, die selbst Ärzte irregeleitet hat, ist ein Beleg dafür
aus der Geschichte der Plastik. Doch wird man ihr daraus
natürlich keinen Vorwurf machen ; denn die Kunst ist
kein Anatomielehrbuch.
Einen Beitrag zum Wissen und zur Wahrheit zu liefern,
ist nicht Absicht der Kunst; sie untersteht daher nicht
den Normen der Erkenntnis. Aber sie tritt auf den Plan
der menschlichen Lebens- und Gesellschaftstatsachen und
fällt daher wie das menschliche Handeln überhaupt schon
von vornherein in den Interessenkreis der Ethik.
An sich und für sich allein wäre die Kunst, der
Kunstgenuß und die künstlerische Tätigkeit allerdings
auch ethisch indifferent. Aber indirekt, durch ihre ent¬
fernteren Wirkungen und sonstigen Zusammenhänge stehen
sie mit ethischen Werten in Konnex und bekommen
dadurch selbst auch ethische Bedeutung. Es verhält sich
darin mit der Kunst ganz so, wie mit vielem andern, ja
geradezu der Mehrzahl der menschlichen Betätigungen.
Alle die vielen mehr oder weniger gleichgültigen Ver¬
richtungen des Alltagslebens, wie etwa die Nahrungsauf¬
nahme, sind an sich ethisch irrelevant. Aber indem sie
die mannigfaltigsten Beziehungen zu anderen Handlungen