Die ästhetische Norm.
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im allgemeinen psychologisch gleich beschaffen sind und
alle auf gleich naturgesetzlichem Wege als notwendige
Wirkungen aus ihren Ursachen hervorgehen?
Die Praxis beruhigt sich bei dieser Frage in der Regel
mit der Bemerkung, daß es die ästhetische Reaktionsweise
dessen, der Geschmack besitzt, ist, die in der geschilderten
Art bevorzugt zu werden pflegt. Geschmack ist nichts
anderes als ein besonders wertvoller Zustand der ästhe¬
tischen Dispositionen, und es versteht sich von selbst, daß
man sich nach den Äußerungen solcher Dispositionen und
nicht nach denen minder wertvoller richtet.
Diese Erklärung kann der Praxis genügen, nicht aber
den Anforderungen theoretischen Verständnisses. Denn
der Wert der Dispositionen hängt naturgemäß vom Werte
ihrer Leistungen ab, im vorliegenden Falle der Gefühls¬
reaktionen. Wenn also der „Geschmack“ wirklich durch
seinen besonderen Wert vor andersartigen ästhetischen
Dispositionen ausgezeichnet ist, so stammt dieser Wert
wieder von einer gewissen Vorzugsstellung, die wir seinen
Äußerungen, den ästhetischen Gefühlen dessen, der Ge¬
schmack besitzt, anweisen. Und damit stehen wir wieder
vor der Ausgangsfrage.
Aber der Faden zur tatsächlichen Lösung läßt sich
doch auch an diese vorläufigen Betrachtungen anknüpfen.
Der Wertgesichtspunkt führt weiter, und man kann das
Problem in drei Teilfragen zerlegen, welche lauten:
i. Entspricht es den Tatsachen, daß wir gewissen ästhe¬
tischen Gefühlsäußerungen höheren W ert beilegen als
anderen ?