Der ästhetische Zustand des Subjektes.
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ist keine völlige — wie man dem Blinden von der Farbe
spricht, und seine emotionalen Dispositionen sind durch
den künstlerischen Schein schwerer aufzurütteln wie die
desjenigen, dem sie das Leben zwar noch nicht abge¬
stumpft, aber rege gehalten hat.
Ferner wäre es zu weit gegangen, wenn man die
Ernstgefühle für völlig unfähig hielte als Anteilnahme oder
Einfühlung in die Voraussetzung ästhetischen Genusses
einzugehen. Man kann ja auch Szenen der Wirklichkeit
ästhetisch betrachten und genießen, nur kommt man aus
verschiedenen Ursachen schwerer dazu. Wen sein Weg
z. B. zu einer jungen Mutter führt, die sich in banger
gorge am Krankenbette ihres Kindes müht und quält,
der wird freilich zunächst von der ergreifenden Wirklich¬
keit gepackt werden, und indem er mit der Mutter fühlt,
von Mitleid, Sympathie und Hilfsbereitschaft erfüllt sein.
Aber, wenn sich dafür das Interesse in ihm regt und er
die psychische Energie dazu erübrigt, so kann er die
Situation mit ihrem ganzen Gefühlsgehalt auch noch
ästhetisch betrachten und genießen. Er darf dazu nicht
innerlich kalt, ruhig und teilnahmslos werden, er darf sich
nicht in den Unbeteiligten verwandeln. Im Gegenteil,
seine Einfühlungs- und Anteilsgefühle, in diesem Falle
E r n s t gefühle, müssen erhalten bleiben, denn sie gehören
ja zum Gehalt des ästhetisch zu betrachtenden Gegen¬
standes. Er muß sich nur zum Teil losmachen von
ihnen, sich nicht mehr ganz von ihnen ausfüllen lassen,
sondern sich auch betrachtend ihnen und der ganzen
Situation gegenüber verhalten. Dabei stellt sich sofort