Fünftes Kapitel: Formen der rhythmischen Bewegung.
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und schliefst eine Spannung in sich. Es ist eine Tendenz,
sich im Gegensatz zum Vorangehenden oder zu den Vor-
stellungs- und Denkgewohnheiten zu behaupten.
Die beiden Arten des Strebens und der Spannung, die
hier unterschieden wurden, lassen sich kurz so bezeichnen: Das
eine Mal ist das Streben ein relatives, nämlich auf den Fort¬
gang der Bewegung bezügliches, das andere Mal ist es ein
absolutes. Statt absolutes Streben könnte ich auch sagen „im¬
manentes“ Streben.
Jenes Streben nach Fortgang der Bewegung, oder jenes
„relative“ Streben hat naturgemäfs eine umso gröfsere Flöhe,
oder schlierst eine umso gröfsere Spannung in sich, je ferner
das Ziel noch ist, oder je weniger die Erreichung desselben
begonnen hat, also bereits eine teilweise Befriedigung ein¬
getreten ist. Das Streben der zweiten Art oder das absolute
Streben ist umso stärker, je eindringlicher der Wunsch, der
Befehl, die Frage, bezw. je mehr durch den Sinn des Ganzen
die logische oder apperzeptive Antithese gefordert ist.
Welcher Art nun aber das Streben sein mag, ob der ersten
oder der zweiten Art, in jedem Falle schliefst es eine seiner
Höhe entsprechende Tendenz der Steigerung der Tonhöhe in
sich. Dies ist eine aus der Sprache des gewöhnlichen Lebens
jedermann geläufige Tatsache. Es verhält sich aber nicht
anders beim künstlerischen Rhythmus der Poesie.
Betonung und Höhe in Wechselwirkung.
Die beiden Gegensätze der stärkeren oder minder starken
Betonung einerseits, und des Strebens und des strebungslosen
Verharrens oder Fortgehens, der Spannung und des Mangels
der Spannung oder der Lösung, andererseits, wurden als
durchaus von einander verschieden bezeichnet. Aber beide
treten nun zu einander in Wechselwirkung. Und daraus ge¬
winnt zunächst die Betonung einen mehrfach verschiedenen
Sinn.
Die erste Möglichkeit ist diese: Die Betonung ist Trägerin
eines „absoluten“ oder „immanenten“ Strebens; also des