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Der Mensch und die Naturdinge.
dingungen, vor allem der eigenartigen „Lebenskraft“, die im
Eichbaum waltet, gewisse feste Grundformen der Bildung und
des Verhaltens hervorgehen lassen kann und mufs. Und wir
verstehen ebenso, wie die unendliche Mannigfaltigkeit des
Spieles der Naturkräfte, der Kräfte im Baume, der Kräfte
im Boden, und endlich der Kräfte von Luft und Licht, Wetter
und Wind, Wärme und Kälte, die auf den Baum wirken, die
unberechenbaren Zufälligkeiten der Differenzierung der Grund¬
formen im Einzelnen ergeben kann, und wiederum mufs.
Gesetzmäfsigkeit und „Freiheit“ in der Natur.
Auch diese naturgesetzlich verständlichen Merkmale des
Naturobjektes nun, die festen Gewohnheiten und die unberechen¬
baren Zufälligkeiten, gewinnen ihre ästhetische Bedeutung, indem
das Naturobjekt vermenschlicht und in ein Individuum ver¬
wandelt wird. Jetzt erscheinen uns die Naturgewohnheiten wie
feststehende Gewohnheiten eines Individuums, bleibende Grund-
ziige einer Weise desselben, sich zu betätigen. Wo wir der¬
gleichen finden, sprechen wir wiederum von Charakter. Einen
solchen Charakter hat also der Baum in seinen feststehenden
Eormgewohnheiten. Sie sind auch bei ihm in seinem inneren
Wesen gegründete Gewohnheiten, sich zu betätigen, auszu¬
wirken, auszuleben.
Und die Zufälligkeiten der Natur erscheinen wie die
unberechenbaren, in keine Regel fafsbaren, nicht in starre Ge¬
wohnheiten eingeschlossenen Weisen des Menschen im Einzelnen
sich zu verhalten. Sie erscheinen wie spontane Impulse, ein
der Regel spottendes, freies, oder auch launenhaftes Spiel, kurz,
sie erscheinen als Ausdruck der Freiheit, nämlich der Freiheit,
die der Vorausberechenbarkeit, dem mechanisch Gesetzmäfsigen,
dem Automatischen, gegenübersteht
Solche Freiheit hat beim Menschen Wert, weil sie Zeichen
ist des Reichtums der Persönlichkeit, der vielseitigen Empfäng¬
lichkeit und Erregbarkeit, des unendlichen Spieles seelischer
Kräfte. Sie ist erfreulich, weil es um solchen Reichtum eine
erfreuliche Sache ist. Und so ist es auch eine erfreuliche Sache