Fünftes Kapitel: Übergang zur Natureinfühlung.
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die Arme ausbreiten. Dieses Stehen und Ausbreiten ist, wie
bei uns, eine Überwindung der Schwere, oder ein Standhaiten
gegen sie. Wie sollte der Baum oder Fels dies vermögen, ohne,
wie wir, sich zusammenzunehmen und gegen die Schwere zu
arbeiten?
Der Trieb der Vermenschlichung.
In solchen Fällen scheint die Vermenschlichung ohne wei¬
teres verständlich. Sie ergibt sich, so scheint es, unmitelbar aus
der Ähnlichkeit der Formen und Bewegungen, die wir in der
Natur beobachten, mit denen, die wir hervorbringen, bezw. an uns
finden. Nachdem einmal die äufsere Erscheinung des Menschen,
seine Laute, Formen, Bewegungen, mit dem Leben, das wir in
uns finden, erfüllt sind, können wir nicht umhin, mit den ver¬
wandten Lauten, Formen, Bewegungen in der Natur in analoger
Weise zu verfahren. So gelangen wir in unserer Vermensch¬
lichung in stufenweisem Fortgang von des Menschen äufserer
Erscheinung durch die Tier- und Pflanzenwelt hindurch bis
zur Welt des Unorganischen.
Indessen unsere Vermenschlichung geht über die hiermit
bezeichneten Grenzen weit hinaus. Es gibt schHefslich nichts
in der Natur, dem wir nicht die Vermenschlichung angedeinen
lassen. Kein Dasein und Geschehen in der Natur entgeht
unserem Streben, uns mitfühlend in dasselbe hineinzuversetzen.
Und dabei sehen wir uns von der Ähnlichkeit der Formen und
Bewegungen in der Natur mit den Formen und Bewegungen
des menschlichen Körpers überall im Stich gelassen.
Die Natur ist uns überall lebendig. Überall, wie gesagt, sehen
wir Aktivität, Passivität, Streben, Tun, Erleiden. Vielmehr, wir
sehen von allem dem nichts. Was die Wahrnehmung uns
zeigt, ist nichts als einfaches Dasein und Geschehen. Das übrige
ist unsere Zutat
Was nun treibt uns zu solcher Vermenschlichung? Man
kann hier verweisen auf zwei Momente; auf zwei Triebfedern,
die freilich nahe Zusammenhängen. Einmal: Nichts liegt uns
gefühlsmäfsig näher, und ist uns interessanter und wichtiger,
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