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Der Mensch und die Naturdinge.
baren Grund, wie jedes Gefühl, in einem psychischen Ge¬
schehen. Jedes Gefühl überhaupt ist Bewufstseinsausdruck
oder begleitendes Phänomen einer Weise des psychischen
Lebensablaufes. Meinen psychischen Lebensablauf bestimmt
also die wahrgenommene Form, indem ich sie betrachte, und
ihr betrachtend hingegeben bin. Sie gibt diesem psychischen
Lebensablaufe Impulse, schafft ihm eine besondere Rhythmik.
Diese erlebe ich in jenen Formen; diese fühle ich in sie hinein.
Ich sagte oben spezieller, ich fühle in die fraglichen Formen
Kraft, Gesundheit, schwellendes, blühendes Leben ein. Damit
war gemeint die fühlbare Kraft und Gesundheit, das fühl¬
bare Leben. Und fühlen kann ich nun einmal nur Psychisches.
Körperliche Zuständlichkeiten, Arten der „Rhythmik“ des körper¬
lichen Lebens sind für mich fühlbar, nur sofern sie zu psy¬
chischen werden, oder den psychischen Lebensablauf bestimmen,
meinem psychischen Dasein Kraft, Regsamkeit, Reichtum, Frei¬
heit verleihen.
Wie diese Impulse, abgesehen von meinem Gefühl, aussehen,
davon weifs ich nichts. Ich habe sie nur eben im Gefühl; in
jedem Falle aber sind sie anderer Art als jene, die ich erlebe,
wenn ich aus der ästhetischen Betrachtung heraustrete, wenn
ich aufhöre, betrachtend in den Formen zu weilen, und statt
dessen mich, als den geschlechtlich anders Gearteten, den wahr¬
genommenen Formen gegenüberstelle; kurz als die Antriebe, in
welchen der sexuelle Instinkt besteht.
Auch dies ist noch hinzuzufügen: Ich fühle jene eigentüm¬
liche Rhythmik des seelischen Lebensablaufes in den wahr¬
genommenen Formen. Ob auch der Träger der Formen selbst
etwas dergleichen fühlt, ist völlig gleichgültig.
Der hier bezeichnete Sachverhalt ist für uns wiederum
ein relativ neuer. Es liegt darin eine neue Erweiterung des
Prinzips, das uns die Schönheit menschlicher Formen erklärt.
Optisch wahrgenommene Formen, so sehen wir jetzt, wecken
in uns nicht nur Impulse zur Nachahmung, d. h. zu solchen
Bewegungen, wodurch für einen anderen eben diese optischen
Bilder erzeugt werden. Sie wecken auch nicht blofs Impulse
zu solchen Bewegungen, zu denen die wahrgenommenen Formen