Weiteres zur »Einfühlung«. 493
die epische Dichtung, uns mitteilt. Wir glauben daran ebenso
unbedingt.
Freilich sagt das plastische Bildwerk, was es zu sagen hat,
nicht in Worten. Es sagt nicht in sprachlichen Lauten und Laut¬
komplexen, »daß« das menschliche Individuum, das in ihm dar¬
gestellt ist, dies oder jenes tue, etwa einen Diskus zu werfen im
Begriffe sei, oder »daß« es so oder so innerlich sich verhalte und
fühle, etwa von einem freien, leichten, kraftvollen Lehensgefühl
durchströmt sei; es verwendet als Mittel des Ausdrucks nicht Sätze
in Aussageform mit einem sprachlichen Subjekt und Prädikat,
sondern es verwendet dazu genau die Ausdrucksmittel, die nun
einmal ihm als plastischem Kunstwerk spezifisch eigen sind.
Man sollte aber allmählich gelernt haben, das, was in irgend¬
einer Weise ausgedrückt ist, von den Mitteln des Ausdruckes zu
unterscheiden. Man sollte insbesondere allmählich gelernt haben,
das in einem Satze ausgesagte Urteil von dem Satze oder der
Aussage zu unterscheiden.
Die Satzform ist für den Sinn zufällig, d. h. sie ist das Mittel
der Kundgabe eines Sinnes, wenn dieser Sinn einmal sprachlich
kundgegeben werden soll, so wie Gebärden, Formen, Farben, Töne
das Mittel der Kundgabe sind, wenn einmal in Gebärden, Formen,
Farben, Tönen kundgegeben werden soll. Freilich geben zugleich
alle diese Ausdrucksmittel das und nur das kund, was sie ver¬
möge ihrer besonderen Eigenart kundgeben können. Aber das
Bewußtsein jener ästhetischen Wirklichkeit oder Tatsächlichkeit
vermögen sie alle in gleicher Weise, d. h. insbesondere mit gleich
»überzeugender Kraft«, in uns zu wirken. Und nennen wir dies
Bewußtsein ein Urteil, so sind sie alle im gleichen Sinne Träger
von Urteilen.
Zugleich müssen wir sagen: Daß in irgendeinem Kunstwerke
irgend etwas ausgedrückt oder »dargestellt« ist, oder daß irgend¬
wie in dem, was eine Kunst den Sinnen unmittelbar darbietet,
etwas anderes, nicht sinnlich Wahrnehmbares »liegt«, dies besagt
allemal und unweigerlich, daß wir ein solches ästhetisches Wirk-
lichkeits- oder Tatsächlichkeitsbewußtsein haben. Alles, was in
einem Kunstwerke, welcher Gattung es immer angehöre, »liegt«,
ist für uns ein ästhetisch Wirkliches oder Tatsächliches, oder ist
Inhalt eines »Urteils« von der Art, wie sie in den Aussagen der
Dichtung liegen. Wir können dies auch so ausdrücken: Die