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Zweites Kapitel.
dabei aber um den Eindruck des Bewegten handelt
(das „Flüssigwerden“ der Form), mögen gleichfalls
neben der Augenbewegung selbst reale Bewegungs¬
empfindungen anderer Art, die imitatorischen Ein¬
stellungen entspringen, die Lebhaftigkeit des Gefühls -
Vorganges erhöhen.
Wir gehen hier über das, was Fechner den asso-
ciativen Faktor nennt, hinaus, indem wir zu der Ver¬
wachsung von sensorischen mit reproduktiven Daten
die von sensorischen mit sensorischen Daten hinzu¬
fügen. Eine solche Auffassung hat aber in der deutschen
• •
Ästhetik bisher wenig Anklang gefunden. Besonders
wichtig sind in dieser Beziehung die kritischen Be¬
denken, die Lipps gegenüber dem Aufsatz über
Schönheit und Hässlichkeit von Vernon Lee und
Anstruther-Thoms on (den ich in den „Spielen der
Menschen“ verwertet habe) in seinem dritten ästhe¬
tischen Litteraturbericht (Archiv für systemat. Philos.,
VI, 1900) geltend macht. Indem ich auf einige der¬
selben eingehe, frage ich mich nicht, wie weit sie
jenen Aufsatz treffen, sondern nur, wie weit die eben
skizzierte Auffassung sich mit ihnen vertragen kann.
Vor allem ist zu betonen, dass ich hier wie in
meinem früheren Buche von der kategorischen Be¬
hauptung, es könne ohne Organempfindungen der ge¬
schilderten Art kein ästhetischer Genuss stattfinden,
weit entfernt bin. Nicht nur eine schöne Farbe oder
ein schöner Ton kann unabhängig von ihnen genossen
werden, sondern ich halte es auch für wahrscheinlich,
dass bei komplizierteren Bedingungen, abgesehen von