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Sechstes Kapitel
deckungen. Wie lange stand die Kunst den feineren
Reizen des Hochgebirgs fremd gegenüber, bis es
Segantini gelang, das darzustellen, was schon tau¬
send Nichtkünstler bewegt hatte. Und wie viele Gene¬
rationen haben sich an dem Blick in stille Thalmulden
erwärmt, ehe Thoma und andere ihren Zauber für
die Kunst „entdeckten“! — Von Interesse ist es aber
doch, dass ein solches Gegenstück zu der Kopie-Ori-
ginal-Illusion existiert. Als Goethe, von der Betrach¬
tung der Niederländer in der Dresdener Galerie kom¬
mend, die Werkstatt des Schusters betrat, bei dem er
wohnte, appercipierte er sie „wie einen Ostade “; „es
war das erste Mal“, sagt er, „dass ich auf einen so
hohen Grad der Gabe gewahr wurde, die ich nachher
mit mehrerem Bewusstsein übte, die Natur nämlich
mit den Augen dieses oder jenes Künstlers zu sehen.“
Die Lustwirkung liegt dabei zum Teil in der Phan-
tasieleistung als solcher, die mit der „Freude am Ur-
aber geradeso
wie die anderen Illusionen noch mehr auf dem Inhalt
des Gebotenen, indem der Findruck der Farben und
Formen mehr isoliert und durch die aus der Illusion
entspringende Befriedigung über die erreichte künst-
lerische Absicht (der „gelungenen“ Komposition u. s. w.)
verstärkt wird.