Der ästhetische Schein.
85
nur so lange, als sie die gehorsamen Diener sind, die
durch ihre Gegenwart den Glanz des Herrschers er¬
höhen.
Nun möge eine Aenderung eintreten. Derselbe Mann
steht wieder vor mir. Aber ich bin durch die Beleuchtung
oder durch die innere Stimmung in andrer Weise beein-
flufst; es ist diesmal das Farbige der ganzen Erscheinung,
worauf sich meine Aufmerksamkeit wendet. Sofort beginnt
ein ganz anderes inneres Bild in mir zu entstehen, die
Qualität des Scheines verändert sich vollständig, es fallen
mir jetzt ganz andere Theile der Erscheinung dominirend
in's Auge. Wie eigenartig hebt sich von den schwarzen
Haaren die klare Stirn, von dieser wieder das dunkle Auge
ab! Wie herrlich schimmert unter der gebräunten Wange
das frische Roth des Blutes durch! Und das Gewand!
Vorhin wurde mir das Kleid nur insofern deutlich bewufst,
als ich aus seinen Falten die Formen des Körpers errathen
konnte; jetzt fesselt mich die Uebereinstimmung und der
Contrast seiner Farben, jetzt ist es die Form, die «zur
dienenden Stellung herabsinkt und nur noch den Träger
der farbigen Erscheinung bildet. Solange die Form den
Gipfel meines Bewufstseins einnahm, solange hatte der
ästhetische Eindruck etwas streng in sich Geschlossenes.
Denn die Form zieht eine scharfe Grenze; was aufserhalb
derselben liegt, ist ohne directe Beziehung auf den Anblick
der körperlichen Gestalt. Daher gibt die Vorherrschaft der
Körperform dem inneren Bilde etwas Stilles, in sieh Ge¬
sammeltes, sozusagen Einsames. Und nun, welch ein
3*