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Das Tragische.
ausschliefst, weil dabei weder Furcht noch Mitleid ent*
stehe. Denn wenn die schlechte Persönlichkeit nur interes¬
sant genug ist, wird die innere Nachahmung schon dafür
sorgen, dafs Furcht und Mitleid nicht ausbleiben.
Die zweite Form der sittlichen Nothwendigkeit hilft
gleichfalls dazu, das bei der Katastrophe entstehende Mitleid
ästhetisch erträglich zu machen. Sie besteht darin, dafs es
uns als etwas sittlich Unmögliches erscheinen würde, wenn
die tragische Person der feindlichen Macht gegenüber sich
zur Versöhnung bereit zeigte oder auf dem Weg zum Ver¬
derben umkehren wollte. Eine solche Umkehr erscheint
uns nicht nur logisch, sondern auch sittlich ausgeschlossen,
wenn wir von der tragischen Person, die durch eigene
Schuld in die Gefahr verwickelt worden ist, erwarten dürfen,
dafs sie die unvermeidlichen Folgen ihres Handelns auch
mit Würde auf sich nimmt. Je kraftvoller der Künstler den
Charakter darstellt, der sich in tragische Schuld verstrickt,
desto leichter wird diese Erwartung erfüllt werden. Die
Schuld ist ja freilich sittlich zu mifsbilligen, die Handlung
wäre besser nicht geschehen; und dennoch : — wenn der
Fehler einmal gemacht ist, kann auch das muthige Aus¬
harren in der an sich zu verwerfenden Richtung etwas
Sittliches an sich haben. Von dem Durchschnittsmenschen
wird man zwar verlangen, dafs er die verderblichen Folgen
seiner That zu verhindern und so die That selbst, soweit
es möglich ist, auszulöschen suche, dafs er sich bessere und
ein neues Leben anfange. Wenn aber ein derartiger Mensch
trotz solcher Versuche dem feindlichen Verhängnifs verfällt,