Das Erhabene.
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sein ist in Folge dessen, wenn es die Erhebung auf¬
frischen will, genöthigt, auch das Gefühl der Depression
aufzufrischen und zu diesem Zweck für einen Augenblick
aus dem ästhetischen Zustand herauszutreten, — und so
entsteht eine spielende Abwechslung zwischen dem aufser-
ästhetischen und ästhetischen Zustand, bei der, wie Kant
sagt, „das Gemüth von dem Gegenstände nicht blofs ange¬
zogen, sondern wechselsweise auch immer wieder abgestofsen
wird“ *). Nur geht dies Spiel natürlich nicht unbegrenzt
weiter; denn die Depression wird bei jeder Wiederholung
geringer werden und dadurch auch die Erhebung weniger
hervortreten lassen, bis zuletzt — wie bei einer hin- und
herschwingenden Saite — der ganze Procefs zur Ruhe
kommt.
Zum Schlüsse mufs ich von diesem Ergebnifs aus noch
einmal auf die Idee des Unendlichen zurückkommen. Falls
noch irgend ein Zweifel über die beschränkte Tragweite
dieser Idee bestehen konnte, so ergibt es sich hier mit voller
Klarheit, dafs sie unmöglich den Kern des ästhetischen Ge¬
nusses bilden kann. Denn wenn die wichtigste Wirkung des
Unendlichen zweifellos der ehrfurchtsvolle Schauer ist, den
die Vorstellung des Absoluten, Uebersinnlichen mit sich
bringt, so gehört dieses Gefühl offenbar gar nicht dem eigent¬
lich ästhetischen Zustand des Bewufstseins an, sondern dem
aufserästhetischen Zustand der Depression. Es
*) „Kritik der Urtheilskraft“ (Kehrbach) 96, 112.
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