Das Erhabene.
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Hauptgewicht zu legen versucht. Sie kann dienend in den
erhabenen Genufs hineinspielen — das ist unbestreitbar; aber
sowie man den erhabenen Genufs auf sie begründen will,
vergifst man leicht, dafs die ästhetische Anschauung in erster
Linie eben immer Anschauung sein mufs. Das ist auch
der Hauptfehler Kants : er fafst den psychologischen Procefs
beim Erhabenen so, als ob wir den ästhetischen Genufs erst
dann hätten, wenn wir aus der Anschauung heraustreten,
und das kann nicht richtig sein. — Die wahre Erklärung
des Erhabenen gewinnt man gerade auf entgegengesetztem
Wege. Nicht in der versagenden Anschauung besteht die
Unlust, und die Lust nicht in dem Hervortreten einer Ver¬
nunftidee, sondern es verhält sich genau umgekehrt. Der
Gegenstand ist solange deprimirend, als wir ihn „vernünftig"
betrachten, d. h. solange, als wir uns seiner Ueberlegenheit
über uns bewufst sind und in Folge dessen das sehr ver¬
nünftige Gefühl haben, dafs unsere Kleinheit und Schwäche
hier leicht in unangenehmer Weise zum Vorschein kommen
könne. Und der gewaltige Gegenstand ist erst dann lust¬
erregend, wenn wir derartige Eindrücke und Erwägungen
vergessen über dem „unvernünftigen" Spiel der ästhetischen
Anschauung.
Dies bestätigt sich, wenn man die Beispiele der Erhaben¬
heit daraufhin prüft. Wir betrachten etwa den tobenden
Anprall des vom Sturm erregten Meeres an einer Felsen¬
küste. Da übermannt uns zuerst ein Gefühl der Furcht vor
dieser gewaltigen Bewegung, die rücksichtslose Wuth, mit
der die Wassermassen sich heranstürzen, schüchtert uns
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