Kritik falscher Definitionen.
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Der positiven Darstellung des Schönen mufs ich noch
einige Bemerkungen negativen Charakters anschliefsen. In¬
dem ich das Schöne rein auf die ästhetische Anschauung
des sinnlich Angenehmen beschränkte, bin ich zu einer
ganzen Reihe von Definitionen in Gegensatz getreten, in
denen das Angenehme nur eine untergeordnete Rolle spielt,
während andere Bestimmungen als herrschende Merkmale
des Begriffs an die Spitze treten. Besonders häufig werden
in dieser Beziehung betont die Merkmale des Voll¬
kommenen, der Einheit des Mannichfaltigen, des
Typischen, des Zweckmäfsigen, des Organischen
und des Charakteristischen. Sind diese Bestimmungen
wirklich unterscheidende Kennzeichen des Schönen? Es ist,
wie ich glaube, leicht zu zeigen, dafs sie das nicht sind.
Was zunächst das Merkmal der Vollkommenheit
betrifft, welches seit Baumgarten in der deutschen Aesthetik
eine Rolle spielt, so läfst sich mit diesem unbestimmten
Begriff überhaupt nicht viel anfangen. Ist damit gemeint,
das Schöne sei die sinnliche Erscheinung sittlicher Voll¬
kommenheit — ein Gedanke, der bei sehr vielen Aesthetikern
wiederkehrt —, so mufs man darauf hinweisen, dafs erstens
auch ein häfsliches Gesicht vollendete Herzensgüte wieder¬
spiegeln kann, dafs zweitens die sinnliche Erscheinung einer
recht unmoralischen, auf derben Lebensgenufs gehenden
Gesinnung auch schön sein kann, ja, dafs es eine „satanische“