Die Lust an der inneren Nachahmung. 175
Trotzdem sind sie noch schmerzliche Gefühle, und es wäre
völlig unverständlich, dafs wir ihnen unsere Seele mit be*
wufster Absicht erschliefsen, wenn nun diesen gereinigten
Unlustgefühlen nicht als starkes Gegengewicht die
tief eingewurzelte reale Lust an dem Spiel der
inneren Nachahmung gegenüberträte.
Man hat schon oft den menschlichen Spiel trieb zur
Erklärung ästhetischer Fragen herbeigezogen. Dabei ver¬
glich man aber meistens das äufsere Spiel des Kindes nicht
mit dem inneren Spiel des ästhetischen Anschauens und
Anhörens, sondern mit der künstlerischen Produc¬
tion. So Schiller in seinen Briefen über die ästhetische
Erziehung des Menschen, Max Schasler im zweiten Theil
seiner Aesthetik *) und viele andere. (Bei Schiller finden
sich indessen Anzeichen dafür, dafs er sich auch das ästhe¬
tische Anschauen als ein Spiel denkt.) Dieser Vergleich ist
für die Anfänge der Kunst wohl zutreffend, und die
Anthropologie wird ihn nicht entbehren können. Der Renn¬
thierjäger an den Gletschermoränen der Schussenquelle,
der auf einen Knochen allerlei Striche hinkritzelte, der
diluviale Bewohner der Dordogne, der die Formen eines
Rennthiers oder eines Pferdes nachzeichnete, hat sich dabei
gewifs spielend beschäftigt. Es ist ein Ueberschufs von
Kraft, wie Herbert Spencer betont und wie auch Schiller
mit grofser Klarheit entwickelt hat **), welcher sich im Spiele
*) Max Schasler, „Aesthetik“ 188h, II. S. 12.
**) Vgl. z. B. im 27. Brief der „Aesthetischen Erziehung“ : „Das