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Hr. Stumpf: Ich möchte nur meine grosse Freude ausdrücken
darüber, dass eine Sache, die mir schon viele Jahre lang am Herzen ge¬
legen hat, jetzt von meinen beiden jungen vortrefflichen Mitarbeitern so
tatkräftig in die Hand genommen worden ist, und zwar viel besser und
viel exakter, als es früher nur möglich erscheinen konnte. Denn als es
noch keine Phonographen gab, war man auf die in Reiseberichten ent¬
haltenen, nach dem Gehör aufgenommenen Notierungen beschränkt, und
diese leiden an vielen Übelständen. Es ist selbst für ein sehr geübtes
Ohr oft unmöglich, solche fremdartigen Weisen sicher aufzufassen und in
Noten zu bringen, umsomehr für einen akustisch nicht besonders vor-
ge.bildeten Reisenden. Deshalb sind auch die vielen Notizen, die ich mir
im Laufe der Jahre aus solchen Reiseberichten mit Hilfe von Ethnologen
und Geographen gesammelt habe, augenblicklich ziemlich Makulatur ge¬
worden — ich sage: augenblicklich; denn wenn wir erst einmal die ge¬
nauen Studien mit Hilfe der Phonographen und unserer akustischen
Apparate gemacht haben, dann werden wir ja auch die früheren Notationen
heranziehen, sie mit den phonogrammetrischen Aufnahmen vergleichen
und so das Zuverlässige von dem Unzuverlässigen sondern können. Manches,
hoffentlich Yieles, wird sich dann noch als brauchbar erweisen. Freilich
diese Studien durch den Phonographen können nicht alles leisten, was zu
wünschen ist; das Stadium nach der Natur bleibt doch immer unentbehr¬
lich, wenn man sich den vollen Eindruck der exotischen Musik verschaffen
will, nicht bloss wegen der Unvollkommenheit der Apparate, die ja mit
der Zeit ganz ausgeglichen werden wird, sondern auch deshalb, weil zum
Eindruck und Verständnis der lebendigen Musik die ganze Vortragsweise
gehört, die Gebärden und die engere und weitere Umgebung, das ganze
Milieu, in dem die Musik erwachsen ist. Der Musikforscher muss daher
jede Gelegenheit benutzen, jeden Besuch, den wir von fremden Arölker-
schaften haben, um seine Anschauungen zu bereichern. Besonders er¬
wünscht ist es aber, dass Reisende, die musikalisch veranlagt sind, nun
mit diesem neuen Apparat ausgerüstet, Studien machen und über die
Einzelheiten jeder Aufnahme berichten. Zeit wäre es freilich, wie H. v.
Luschan bemerkt hat, dass solche Aufnahmen gemacht und gesammelt
würden; denn immer mehr verwischen sich die Grenzen, teils durch die
Akkommodation der Eingeborenen, teils durch die der Modernen. Ich habe
erst gestern von Herrn Kollegen Münsterberg aus Amerika eine ähnliche
Nachricht erhalten, wie es vorher aus Benares berichtet worden ist. Er
sagt, es sei eine Bewegung entstanden, um die indianischen Urmelodien
als Nationalmelodien zu benutzen. Diese eignen sich ja freilich sehr gut
dazu, denn die indianischen Melodien gehören zu denjenigen, die unserem
Ohre am besten liegen.
Nun möchte ich, was die praktische Seite der Frage anbetrifft, noch
die in letzter Zeit ventilierte Idee zur Sprache bringen, man soll danach
streben, ein Archiv für Phonogramme anzulegen, am besten gewiss
als einen Teil des Ethnologischen Museums. Es müsste eine grosse Anzahl
von solchen Platten und Walzen gesammelt werden, die auch zu gelegent¬
lichen Produktionen für Museumsbesucher verwandt werden würden, vor