Schwingungssystem der tönenden Klaviersaite.
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wodurch die lebendige Kraft aufs neue geschaffen und der
Stab abermals aus seiner Gleichgewichtslage gebracht, dem
Punkte b zugeschleudert wird. Auf diese Weise ist der Stab
imstande, eine Zeitlang Querschwingungen zu unterhalten, bis
sich beide Kräfte gegenseitig so geschwächt haben, daß ein
dauernder Stillstand in der Gleichgewichtslage des Stabes ein-
tritt, der nur durch äußere Einwirkung gehoben werden kann.
Wenn die Stärke der Federkraft der Steifheit des Stabes ent¬
spricht, so wird die lebendige Kraft durch die Biegsamkeit
des Stabes bedingt, also daß, je biegsamer der Stab, je schwächer
die Federkraft, und je steifer der Stab, je weniger die lebendige
Kraft in ihm auf komm en kann. Einige Physiker nennen die
Querschwingungen eines solchen Stabes oder auch die der
Stimmgabel, weil sie der äußeren Form nach pendelartig sind,
Pendelschwingungen; jedoch dürfen wir diesen Ausdruck der
Irrung wegen nicht gebrauchen. Bei einer Pendelschwingung,
wie z. B. bei dem Pendel der Uhr, könnte die Schwingung
noch so schnell sein, sie würde, da sie keine Reibung der
Materie in den Körper hervorbringt, diese nicht zum Laut¬
werden veranlassen, dahingegen kann, wie ich dieses im ersten
Kapitel hervorgehoben habe, z. B. ein Baum, der vom Winde
hin und her bewegt wird, bei sehr langsamem Hin- und Her¬
schwingen, durch die Reibung seiner Materie laut werden.
Bei den Querschwingungen einer Klaviersaite finden wir
mit nur geringer Änderung dieselben Eigenschaften, wie ich
diese bei den Experimenten des Stabes vorgeführt habe, wieder
vor, und werde ich das noch Fehlende zu ergänzen suchen.
Fassen wir eine Klaviersaite in ihrer Mitte und ziehen sie
aus ihrer Gleichgewichtslage nach aufwärts, so fühlen wir auch
hier die Federkraft, die sich aber von der des Stabes dadurch
unterscheidet, daß sie aus der Längendehnung der Saite her¬
vorgeht. Die gerade Linie ist kürzer, als die krumme Linie
und da die Saite in ihrer Gleichgewichtslage schon sehr kräftig
gedehnt ist, so daß sie die Längenzugabe für die gebogene
Linie nicht aus ihrer natürlichen Länge entnehmen kann, so
müssen sich beim Schwingen der Saite, sobald sie aus ihrer
Gleichgewichtslage tritt, die Moleküle des Körpers in der
Längenrichtung der Saite dehnen. Aus dieser Ausdehnung