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durch gedankliche Zerlegung derselben in solche einfache
Elemente, daß aus diesen die gegebenen Tatsachen mit zu¬
reichender Genauigkeit sich wieder gedanklich aufbauen
und zusammensetzen lassen. Solche elementare idealisierte
Tatsachenelemente, wie sie in Wirklichkeit nie in Voll¬
kommenheit angetroffen werden, sind die gleichförmige
und die gleichförmig beschleunigte Massenbewegung, die
stationäre (unveränderliche) thermische und elektrische
Strömung und die Strömung von gleichmäßig wachsender
und abnehmender Stärke usw. Aus solchen Elementen
läßt sich aber jede beliebig variable Bewegung und Strö¬
mung beliebig genau zusammengesetzt denken, und der
Anwendung der Naturgesetze zugänglich machen. Dies
geschieht in den Differentialgleichungen der Physik.
Unsere Naturgesetze bestehen also aus einer Reihe für die
Anwendung bereit liegender für diesen Gebrauch zweck¬
mäßig gewählter Lehrsätze. Die Naturwissenschaft kann
aufgefaßt werden als eine Art Instrumentensammlung zur
gedanklichen Ergänzung irgend welcher teilweise vor¬
liegender Tatsachen oder znr möglichsten Einschränkung
unserer Erwartung in künftig sich darbietenden Fällen.“1 )
Der wichtige, in diesen Ausführungen neu hinzu¬
kommende Gedanke, ist der, daß das idealisierende und
daher fiktive Moment an den Naturgesetzen betont wird.
Unsere Naturgesetze werden durch Abstraktion gewonnen,
sagt Mach, durch Absehen von der vollen Mannigfaltigkeit
der Tatsachen, nur durch Idealisierung der Tatsachen ge¬
lingt es uns, Gesetzlichkeit zu finden. „Alle allgemeinen
physikalischen Begriffe und Gesetze, der Begriff des
Strahls die dioptrischen Gesetze, das Mariotte’sehe Gesetz
usw. werden durch Idealisierung gewonnen. Sie nehmen
dadurch jene einfache und zugleich allgemeine, wenig be¬
stimmte Gestalt an, welche es ermöglicht, eine beliebige
auch komplizierte Tatsache durch synthetische Kombi¬
nation dieser Begriffe und Gesetze zu rekonstruieren, d. h.
1)
E. u. J. 447.
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