Die Sprache.
299
Mit Recht wird man diese Methode des Taubstum¬
menunterrichtes, wie sie sich in Deutschland im Anschluss
an die Lautirung ausgebildet hat, als die organische be¬
zeichnen können, während die ausserdeutschen Anstalten,
abgesehen von der Beibehaltung natürlicher Geberden,
einer künstlichen, an das Mechanische streifenden Zei¬
chen- und Fingersprache den Vorzug geben.
Der oben berührte Zusammenhang zwischen Laut¬
sprache und Schrift tritt hier aufs neue deutlich hervor.
Die Luftschwingungen, vom Hörenden als Laut gehört,
werden vom Taubstummen in der Form der die Schwin¬
gungen bewirkenden Muskelbewegungen gesehen. Und die¬
ses Gesehenwerden der Laute geht nahezu mit derselben
Schnelligkeit vor sich, wie ihr Gehörtwerden, eine Fertig¬
keit, welche, da jedem Sprachlaut seine besondere muscu-
lare Articulation entspricht und da im Verlauf einer Mi¬
nute an die sechshundert Laute ausgesprochen werden,
dem Ablesen einer gleichen Anzahl von Muskelzusammen¬
ziehungen in gleicher Zeit gewachsen ist.
Die Fingersprache ist als Sprachsurrogat eine durch
die Lautzeichen hindurchgegangene Fingergeberdensprache.
Von der Schrift hat sie das Moment der Sichtbarkeit, von
der Lautsprache das des flüchtigen Verschwindens und
von der allgemeinen Geberdensprache, dass sie die auf
ein Specialorgan reducirte Geberde ist. Hinter den
genannten Deformationen der eigentlichen Schrift, Chif-
fern und Telegraphie einbegriffen, steht immer der ge¬
waltige Buchstabe und hinter dem Buchstaben der all¬
mächtige Sprachlaut, der verschleierte Logos. Aus die¬
sem treten alle Sprachgestalten, wie verschieden sie nach
Gedankeninhalt und nach äusserer und innerer Form
sein mögen, hervor, und ihm kehren sich alle wieder zu