§■ 26.
EINFLUSS DER BEWEGUNGEN.
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Einfluss haben können, wirklich schon ermittelt haben. Es muss schon eine un¬
geheuere Mannigfaltigkeit von Fällen existiren, auf welche das Gesetz passt, und
es muss das Gesetz den Erfolg mit grosser Genauigkeit bestimmen, wenn wir uns
in einem Falle blosser Beobachtung beruhigen sollen. So ist es bei den Bewegungen
des Planetensystems. Wir können freilich mit den Planeten nicht experimentiren,
aber die von Newton aufgestellte Theorie der allgemeinen Gravitation giebt so
vollständige und genaue Erklärung der verhältnissmässig verwickelten scheinbaren
Bewegungen dieser Körper am Himmelsgewölbe, dass wir nicht mehr anstehen, sie
als ausreichend bewiesen zu betrachten. Und doch sind die Versuche von Reich
über die Massenanziehung von Bleikugeln, die von Foucault über die Ablenkung
des schwingenden Pendels durch die Rotation der Erde, von dem letzteren und
Fizeau über die Messung der Lichtgeschwindigkeit innerhalb irdischer Distanzen
von dem grössten Werth, um unsere Uebcrzeugung auch auf experimentellem Wege
zu kräftigen.
Es giebt vielleicht kein Ergebniss blosser Beobachtung, welches sich so aus¬
schliesslich richtig erwiesen hat, als der vorher als Beispiel gebrauchte allgemeine
Satz, dass alle Menschen, ehe sie ein gewisses Alter überschritten haben, ster¬
ben. Es ist unter vielen Millionen von Menschen kein Ausnahmsfall vorgekom¬
men. Wäre einer vorgekommen, so würden wir annehmen, dürfen, dass wir Nach¬
richt davon hätten. Unter den Verstorbenen befinden sich Individuen, die in den
verschiedensten Klimaten, von den verschiedensten Nahrungsmitteln gelebt und die
verschiedensten Beschäftigungen gehabt haben. Dessen ungeachtet kann man nicht
sagen, dass die Behauptung, alle Menschen müssten sterben, denselben Grad von
Sicherheit habe, wie irgend ein Satz aus der Physik, dessen Consequenzen mit der
Erfahrung in vielfachen Modificationen genau experimentell verglichen sind. Für das
Sterben der Menschen kenne ich den Causalnexus nicht. Ich weiss nicht die Ur¬
sachen anzugeben, welche die Alterschwäche unabweiehlich herbeiführen, wenn
keine gröbere äussere Schädlichkeit dem Leben früher ein Ende gemacht hat„ Ich
habe mich nicht durch Experimente überzeugen können, dass, wenn ich jene Ur¬
sachen wirken lasse, Altersschwäche unausbleiblich eintritt, und dass sie nicht ein-
tritt, wenn ich jene Ursachen ihres Eintritts beseitige. Ich kann Jemandem, der
gegen mich behauptet, dass unter Anwendung gewisser Mittel das Leben des Men¬
schen unbestimmt lange erhalten bleiben würde, zwar den äussersten Grad der Un¬
gläubigkeit entgegensetzen, aber keinen absoluten Widerspruch, wenn ich nicht
weiss, dass wirklich Individuen unter den von ihm bezeichneten Umständen gelebt
haben und schliesslich doch gestorben sind. Wenn ich dagegen behaupte, dass
alles flüssige Quecksilber, wenn es ungehindert ist, durch Wärme sich ausdehnt,
so weiss ich, dass höhere Temperatur und Ausdehnung des Quecksilbers, so oft
ich sie zusammen beobachtet habe, nicht blos auf der Wirkung einer unbekannten
gemeinsamen dritten Ursache beruht haben, wie ich im Falle blosser Beobachtungen
glauben könnte, sondern ich weiss durch den Versuch, dass die Wärme für sich
hinreichte, auch die Ausdehnung hervorzubringen. Ich habe Quecksilber öfters er¬
wärmt, zu verschiedenen Zeiten. Ich habe mir dabei nach eigenem Willen die
Augenblicke gewählt, wo ich den Versuch beginnen wollte. Wenn also dabei das
Quecksilber sich ausdehnte, so musste die Ausdehnung bedingt sein durch die¬
jenigen Umstände, welche ich durch meinen Versuch herbeigeführt hatte. Ich weiss
dadurch, dass die Erwärmung an sich ausreichender Grund für die Ausdehnung war,
lind dass keine anderen verborgenen Einflüsse weiter nöthig waren, um sie hervor¬
zubringen. Durch verhältnissmässig wenige, gut augestellte Versuche bin ich im
Stande, die ursächlichen Bedingungen eines Ereignisses mit grösserer Sicherheit fest¬
zustellen, als durch millionenfache Beobachtung, bei welcher ich die Bedingungen
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