Volltext: Handbuch der physiologischen Optik

§• 26. 
DIE INDUCTIVEN SCHLÜSSE, 
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sind, und wir sie durch' unsere Handlungen richtig in die Wirklichkeit wieder zu¬ 
rückzuübersetzen vermögen, sind die'Vorstellungen, welche wir haben, auch für 
unser Denkvermögen die einzig wahren; alle andere würden falsch sein. 
Ich meine, es ist deshalb auch ein Missverständniss, nach einer prästabilirten 
Harmonie zwischen den Gesetzen den Denkens und denen der Natur suchen zu 
wollen, nach einer Identität zwischen Natur und Geist, oder wie man es sonst 
nennen will. Es kann ein Zeichensystem mehr oder weniger vollständig und zweck¬ 
mässig sein; danach wird es leichter oder weniger leicht anzuwenden, genauer in 
der Bezeichnung oder ungenauer sein, wie wir dies an den verschiedenen Spra¬ 
chen sehen, aber übrigens wird sich jedes mehr oder weniger gut der Sache an¬ 
bequemen lassen. Wenn es keine Anzahl ähnlicher Naturobjecte in der Welt gäbe, 
würde uns unsere Fähigkeit, Gattungsbegriffe zu bilden, freilich nichts helfen; wenn 
es keine festen Körper gäbe, würden unsere geometrischen Fähigkeiten unentwickelt 
und ungebraucht bleiben müssen, ebenso wie das körperliche Auge uns nicht hel¬ 
fen würde in einer Welt, wo kein Licht existirtè. Wenn man in diesem Sinne von 
einer Anpassung unserer Denkgesetze an die Gesetze der Natur reden will, können 
wir es gelten lassen; offenbar braucht eine solche Anpassung aber weder voll¬ 
ständig noch genau zu sein. Das Auge ist ein praktisch äusserst brauchbares 
Organ, obgleich es weder in allen Entfernungen deutlich sehen, noch Aethervibra- 
tionen aller Art wahrnehmen, noch die Strahlen, welche von einem Punkte aus¬ 
gehen, genau in einen Punkt vereinigen kann. Unsere Verstandesthätigkeiten sind 
an die Thätigkeit eines körperlichen Organs, des Gehirns, gebunden, wie das Seh¬ 
vermögen an das Auge. Der menschliche Verstand bezwingt wunderbar viel in 
der Welt, und bringt es unter ein strenges causales Gesetz; ob er nothw'endig 
alles müsse bezwingen können, was in der Welt bestehen und geschehen könne, 
dafür scheint mir keine Garantie zu existiren. 
Wir haben nun noch zu reden von der Art, wie unsere Vorstellungen und 
Wahrnehmungen durch inductive Schlüsse gebildet werden. Das Wesen unserer 
Schlüsse finde ich am besten auseinandergesetzt in der Logik von Stuart Mill. 
Sobald der Vordersatz des Schlusses nicht ein Gebot ist, welches durch fremde 
Autorität für unser Handeln oder Glauben aufgestellt ist, sondern ein Satz, der 
sich auf die Wirklichkeit bezieht, und also nur das Resultat der Erfahrung sein 
kann, so lehrt uns der Schluss in der That nichts neues, was wir nicht schon 
gewusst haben, ehe wir ihn machten. Also z. B. 
Major: Alle Menschen sind sterblich. 
Minor: Cajus ist ein Mensch. 
Conclusio: Cajus ist sterblich. 
Den Major, dass alle Menschen sterblich sind, welches ein Erfahrungssatz ist, 
dürfen wir eigentlich nicht aufstellen, ehe wir nicht wissen, ob die Conclusio richtig 
ist, dass auch Cajus, der ein Mensch ist, gestorben sei, oder sterben werde. Wir 
müssen also des Schlusssatzes sicher sein, ehe wir noch den Major, durchweichen 
wir ihn beweisen wollen, aufstellen können. Das scheint also ein Herumgehen im 
Cirkel zu sein. Das wahre Verhältniss ist offenbar das: Wir und andere Menschen 
haben bisher ausnahmslos beobachtet, dass kein Mensch über ein gewisses Alter 
hinaus gelebt hat. Die Beobachtenden haben diese Erfahrungen, dass Lucius, 
Flavius, und wie die einzelnen Menschen sonst hiessen, von denen sie es wissen, 
gestorben sind, in den allgemeinen Satz zusammengefasst, dass alle Menschen 
sterben, und haben sich berechtigt gefühlt, weil dieses Ende in allen den Fällen 
regelmässig eintrat, welche beobachtet worden sind, diesen allgemeinen Satz auch 
für gültig zu erklären für alle diejenigen Fälle, welche noch später zur Beobach¬ 
tung kommen würden, und so bewahren wir uns den Schatz von Erfahrungen, den
	        
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