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ZWEITER ABSCHNITT. DIE LEHRE VON DEN GESICHTSEMPFINDUNGEN.
§• 20.
Was die festzusetzenden Maasseinheiten der Lichtintensität verschieden¬
farbigen Lichts betrifft, so würden für diesen Fall, wo man das Farbenfeld durch
eine Kreislinie begrenzen lässt, complementäre Mengen der Complementärfarben,
d. h. solche Mengen, welche gemischt weiss geben, als gleich gross angesehen
werden müssen, weil nach der Voraussetzung ihre Mischfarbe Weiss gleich weit
von ihnen entfernt liegt. Der Schwerpunkt zweier Gewichte kann aber nur daun
im Mittelpunkte ihrer Verbindungslinie liegen, wenn die Gewichte gleich sind.
Ferner würden von anderen nicht complementären Farben solche Mengen als
gleich gross angesehen werden, welche mit einer genügenden Quantität ihrer
Complementärfarbe vereinigt gleiche Quantitäten Weiss geben. Aus dem, was
ich früher über die verschiedene Sättigung der Spectralfarben angeführt
habe, geht schon hervor, dass die Quantitäten, welche hier als gleich betrachtet
werden, dem Auge durchaus nicht gleich hell erscheinen. Im nächsten Paragraphen
indessen wird sich zeigen, dass die Vergleichung der Helligkeit durch das Auge
bei verschiedener absoluter Lichtstärke sehr verschiedene Resultate ergiebt, und
dass im Gegentheil eine Festsetzung der Maasseinheit verschiedener Farben
nach den Resultaten der Mischung in einem gewissen Sinne wenigstens für alle
Grade der Lichtstärke gültig bleibt.
Will man dagegen in der Farbentafel als gleich gross solche Quantitäten
verschiedenfarbigen Lichts betrachten, welche dem Auge bei einer gewissen ab¬
soluten Lichtintensität als gleich hell erscheinen, so erhält die Curve der ein¬
fachen Farben eine ganz andere Gestalt ähnlich wie in Fig. 117. Die gesättigten
Farben Violett und Roth müssen weiter
vom Weiss entfernt sein, als ihre weniger
gesättigten Complementärfarben, weil
nach dem Urtheile des Auges bei der»-
Mischung von Gelbgrün und Violett zu
Weiss die Quantität violetten Lichtes
viel kleiner ist, als die des gelbgrünen,
und wenn das Weiss im Schwerpunkte
beider liegen soll, die kleinere Quantität
Violett an einem grösseren Hebelarme wirken muss, als die grössere Licht¬
menge des Gelbgrün. Uebrigens würden auch hier wieder die Spectralfarben
an der Peripherie der Curve, das Purpur auf einer Sehne stehen müssen,
Complementärfarben an den entgegengesetzten Enden von Sehnen, welche durch
den Ort des Weiss gelegt sind, wie bei der kreisförmigen Fig. 444.
Die Zurückführung des Farbenmischungsgesetzes auf Schwerpunkt-
constructionen wurde zuerst von Newton nur als eine Art mathematischen
Bildes vorgeschlagen, um die grosse Menge der Thatsachen dadurch auszudrücken,
und er stützte sich nur darauf, dass die Folgerungen aus jener Darstellung
qualitativ mit den Erfahrungsthatsachen übereinstimmten, ohne dass er quanti¬
tative Prüfungen ausgeführt hätte. Dergleichen quantitative Prüfungen sind da¬
gegen in neuester Zeit von Maxwell ausgeführt worden. Er verfertigte sich
eine Reihe Kreissectoren von grösserem, eine andere von kleinerem Radius,
welche mit Pigmenten (Zinnober, hellem Chromgelb, Pariser Grün, Ultramarin,
Grün
Violett'
Oyanhlau
Imlirjo
Fig. 117,