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ZWEITER ABSCHNITT. DIE LEHRE VON DEN GESICHTSEMPFINDUNGEN.
§• 17.
Nebelstreifen nennt. Purkinje beschreibt sie als „breite mehr oder weniger
gekrümmte Bänder mit zwischenliegenden schwarzen Intervallen, die entweder
als concentrische Kreise gegen den Mittelpunkt des Sehfeldes sich bewegen, und
dort sich verlieren, oder als wandelnde Bögen an ihm sich brechen, oder als
krumme Radien um ihn im Kreise sich bewegen. Ihre Bewegung ist langsam,
so dass es gewöhnlich acht Secunden braucht, bis ein solches Band den Weg
vollendet und völlig verschwunden ist“. Ich selbst sehe sie meist wie zwei
Systeme kreisförmiger Wellen, die langsam gegen ihre Mittelpunkte zu beiden
Seiten des Gesichtspunktes zusammenlaufen. Die Lage der Mittelpunkte schien
mir den Eintrittsstellen der beiden Sehnerven zu entsprechen; die Bewegung
fällt mit der der Respirationsbewegungen zusammen. Purkinje hatte ein
schwächeres Auge und sah nur mit dem rechten Auge ein solches System von
Nebelstreifen. Uebrigens wird auch der Grund des Gesichtsfeldes, auf dem sich
diese Erscheinungen entwerfen, nie ganz dunkel, man sieht im Gegentheile ab¬
wechselnde Verfinsterungen und Aufhellungen des Grundes, die oft mit den
Athemzügen in gleichem Rhythmus geschehen (J. Müller 1 2, ich selbst). So
bringt auch jede Bewegung der Augen oder Augenlider, jede Veränderung der
Accommodation Veränderungen des Lichtstaubes hervor. Auffallend sind diese
Gestalten besonders, wenn man in einem unbekannten ganz dunkeln Raume, z. B.
in einem dunkeln Treppenflur, den Weg tappend sucht, weil sie sich dann an
die Stelle der wirklichen Objecte stellen. Dabei bemerkt Purkinje, dass jede
unvermuthete Berührung, jede unsichere Bewegung momentane Oscillationen des
Auges hervorruft, die von zarten Lichtwölkchen und anderen Lichtgebilden be¬
gleitet sind, welche Veranlassung zu manchen Gespenstergeschichten gegeben
haben mögen.
Nach körperlicher Anstrengung und Erhitzung sah Purkinje 2 im dunkeln
Gesichtsfelde ein mattes Licht wallen und flackern, wie die auf einer horizon¬
talen Fläche verlöschende Flamme von ausgegossenem Weingeiste. Bei schärferer
Betrachtung sah er darin unzählige, äusserst kleine lichte Pünktchen, die sich
lebhaft durch einander bewegen, und lichte Spuren ihrer Bewegung hinter sich
lassen. Eine ähnliche Erscheinung trat ein, wenn er bei geschlossenem rechten
Auge das schwache linke zum Sehen anstrengte.
Wichtig ist noch die Erfahrung, dass auch bei Leuten, deren Auge durch
Operation entfernt, oder deren Sehnerven und Augen desorganisirt und functions¬
unfähig geworden waren, subjective Lichterscheinungen vorgekommen sind3.
Aus diesen Erfahrungen geht hervor, dass nicht blos die Netzhaut, sondern
auch der Stamm oder die Wurzeln des Sehnerven im Gehirn fähig sind, in
Folge von Reizungen, Lichtempfindung zu erzeugen.
Endlich sind die elektrischen Ströme ein mächtiges Mittel, den Seh¬
nervenapparat, wie die übrigen Nerven zu erregen. Während in der Regel die
motorischen Nerven nur in den Augenblicken Zuckung bewirken, wo die Stärke
1 Phantastische Gesichtserscheinungen. S. 16.
2 Beobachtungen und Versuche u. s. w. I. 63, 134. II. 113.
5 Beispiele bei J. Müller Phantastische Gesichtserscheinungen. S. 30. — A. v. Humboldt Gereizte Muskel-
und Nervenfaser. Th. II. S. 444. — Lincke de fungo medullari. Lips. 1834.